Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V. , 10. Mai – 31. Mai 2002. Kurator: Christoph Kivelitz.
Yari Ostovany (*1962 Teheran / Iran)
Die Poesie der Existenz; Malerei von Yari Ostovany Yari Ostovany setzt sich in seinem Schaffen auf verschiedenen Ebenen mit der Erfahrung eines kulturellen Gedächtnisses auseinander. In Bildzyklen umkreist der Künstler assoziativ mythisch geprägte Motive, in denen die Frage nach dem Ursprung und der Sinnhaftigkeit des Lebens aufgeworfen wird. Hierzu gehören die "Vogelgespräche" und die Figur des Ikarus. Zwei weitere Bildzyklen versteht der Künstler als Hommage an Goya und Ezra Pound, deren Gedankenwelt ihn wesentlich in seiner abstrakten Bildsprache beeinflusst hat.
Die "Vogelgespräche" beziehen sich auf eines der klassischen Werke der Sufi-Literatur, verfasst von Farid du-din Attar, einem der grossen Sufis, die im Persien des 12. Jahrhunderts wirkten, lehrten und dichteten. Der Held seines berühmten Buches, der Wiedehopf, denkt und fühlt wie ein Sufi, für den das einzig Wesentliche im Leben die direkte, unmittelbare Erfahrung Gottes ist. Als sich eines Tages sämtliche bekannten und unbekannten Vogelarten der Erde versammeln und von der Notwendigkeit sprechen, einen eigenen König zu haben, weiss er Rat. Den König gebe es doch längst, den in grösster Verborgenheit lebenden Vogel Simurgh, der den Vögeln ebenso nahe sei wie sie ihm fern. Zu ihm, ihrem König wolle der Wiedehopf seine Mitvögel führen, allein die Reise sei lang und gefährlich. Offensichtlich ist der Simurgh ein Symbol für Gott, die verschiedenen Vogelarten wiederum symbolisieren die unterschiedlichsten Menschentypen. Die Reise führt die Vögel nun durch sieben mystische Täler, von denen jedes einer Stufe auf dem Weg zu Gott, einem inneren Zustand des Gottsuchenden entspricht, durch Durst, Hunger, Hitze, Kälte, äussere und innere Feinde. Schließlich sind es gerade dreißig, die ihrer Absicht treu geblieben sind und nun vor den Toren des sagenhaften Simurgh stehen. Ein gewaltiger Glanz durchdringt sie, der sie von allen ihren bisherigen Handlungen reinwäscht. Und in dieser Neugeburt erkennen sie, dass sie, die dreißig Vögel (persisch: "si-murgh") nicht getrennt vom grossen Simurgh sind, dass er in ihnen ist, sie in ihm. Mit der Erkenntnis dieser fundamentalen Einheit, ausgedrückt im berühmtesten Wortspiel der persischen Literatur, schließen Reise und Buch.
Yari Ostovany zielt nicht auf eine Wiedergabe dieser Erzählung im Sinne einer Illustration oder symbolischen Vergegenwärtigung, Um dies in seinen eigenen Worten zu sagen: "In meinem Werk strebe ich danach, die Poesie der Existenz zu berühren, eine Poesie, die eben nicht linear ist und die oberhalb und jenseits der Grenzen einer geometrisch gefassten Logik anzusiedeln ist."
Die Bilder des Zyklus "Vogelgespräche" stellen sich als konkrete Gestaltungen dar, in der Farb- und Formbildungen als autonome Erfahrungswerte zur Erscheinung gebracht sind. Der Künstler vermittelt keine Aussage im Sinne einer Botschaft, die der Betrachter lesend-schauend, intuitiv oder im Einsatz seines Verstandes zu entschlüsseln hat. Im Bildentwurf schafft er eine Wirklichkeit, die sich in der Anschauung des Betrachters je neu formt und eine je neue Ausprägung findet. Aus unauflösbar ineinander verwobenen und miteinander verschmelzenden Farbschichten gliedert Yari Ostovany meditative Räume, in denen sich assoziativ Erinnerungen und Vorstellungen erschließen. Vertikale Linienverläufe und horizontal gestaffelte Strukturen dienen der rhythmischen Organisation eines Tiefenraums, der durch jeweils vorherrschende farbliche Grundtöne atmosphärisch gestimmt ist. Verdichtungen im Farbauftrag, in den Vordergrund drängende Tiefenschichten, durch Kratzen, Schaben oder zeichnerisch aufgetragene Formbildungen vermitteln Ahnungen von Zeichenhaftigkeit und Bedeutsamkeit. Behutsam artikuliert sich hier das Bedürfnis, sich in einer Mitteilung kundzutun, den eigenen Gedächtnisraum zu öffnen und die individuelle Erfahrung auf eine universale Ebene zu weiten. Aufwachsende, organisch anmutende Gebilde verbinden sich mit Kreuzformationen, chaotisch sich entfaltende, impulsive Gestik steht neben geometrisch gefassten Ordnungen, Ornamentales stößt auf Narratives, Diffuses auf klare Konturen, um so unterschiedliche Möglichkeiten bildlicher, symbolischer und zeichenhafter Darstellung zu erproben und zu vergegenwärtigen.
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