Christoph Kivelitz

Ivan Andersen

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Katalog, 2008. Hrsg.: Galerie Frank Schlag & Cie., Essen.  Text: Dr. Christoph Kivelitz. Deutsch / Englisch, 28 Seiten mit 10 Farbabbildungen.

Eine ganze Anzahl falscher Bemerkungen ....

Es mag scheinen, als spiegele sich die moderne Alltagswelt in den Bildern von Ivan Andersen. Dem Betrachter begegnen zweckmäßige Betonbauten, Funktionsarchitekturen, Hinterhofsituationen, wenig spektakulär, kaum mal zum längeren Verweilen, geschweige denn zum Wohlbefinden einladend. Der Künstler verbringt den größten Teil des Jahres in Berlin, davon die meiste Zeit in seinem Atelier in Weißensee, im etwas abgelegenen Norden der Stadt, der sich der Aufhübschung der Fassaden und Ladenlokale noch weitestgehend verwehrt. Der sich jeder Überschaubarkeit entziehende ehemalige Industriekomplex mit unzähligen Künstlerateliers ragt als unwirklicher Fremdkörper und Relikt einer vergangenen Zeit aus dem eher kleinbürgerlichen Wohnumfeld heraus. Ebensolche Situationen finden sich in der Bildwelt von Ivan Andersen wieder: ein vielgeschossiger Plattenbau, wie wankend schwebend in das städtebauliche Umfeld eingelassen, gewöhnliche Klappliegestühle auf einem asphaltierten, eher trostlosen Gewerbehof, ein eigentümliches Klettergerüst vor einem fensterlosen Hallenbau, dessen Bestimmung jenseits unserer Kenntnis liegt. So ist es gerade die Tristesse und Brüchigkeit einer Stadtlandschaft, die einen rasanten und dauerhaft krisenhaften strukturellen Wandel durchläuft, die Ivan Andersen zum Gegenstand seiner Werke erhebt. Dabei gibt jedoch das weitergehende Studium seiner Bilder zu erkennen, dass sich keine dieser Situationen auf eine reale Topographie zurück beziehen lässt. Es sind vielmehr Szenen, die sich gleichsam archetypisch in jeder größeren Stadt finden lassen, Snapshots der Anonymität und Uniformität globaler Megacities, in denen sich gleichermaßen utopische wie auch dystopische Zukunftskonzepte abzulagern scheinen.

An diesem Punkt muss die Betrachtung wohl zunächst innehalten, führt sie uns doch zu der irreführenden Feststellung, der Künstler verstehe sich als eine Art Dokumentarist, der aus Erinnerungsfragmenten, fotografischen Skizzen und persönlichen Visionen das fokussierte Bild seiner täglich gelebten Gegenwart zur Darstellung bringt. Bei dieser Sichtweise wird jedoch ein ganz wesentlicher Aspekt seiner Bilder ausgeblendet: die gegenständlich oder figurativ nicht definierten, unfertig anmutenden Bildpartien, Leerstellen, Übermalungen, abstrakte Strukturen, aus dem szenischen Zusammenhang nicht logisch zu erfassende formale Verknüpfungen. Hat sich zunächst – bei der inhaltlich-motivischen Betrachtung – eine Art Fenster auf mehr oder weniger bestimmbare Wirklichkeitsmomente eröffnet, so verschließt sich dieses bei einem Wechsel der Betrachtungsperspektive. Der Betrachter sieht sich zurück verwiesen auf Form und Farbe als autonome Setzungen, die aus sich heraus eine eigenwertige, ganz selbstbezügliche Realität hervorbringen. Es zeichnet sich nun auch bildimmanent eine Bruchstelle, eine Unvereinbarkeit ab, die sich kaum einer Versöhnung zuführen lässt. In einigen Fällen sind diese konträren Bildansprüche so weit zugespitzt, dass sie sich geradezu als das eigentliche Thema des Bildes aufdrängen, sollte dieses auf ein solches überhaupt festzulegen sein.

An dieser Stelle offenbart sich die Eingangsthese über den Wirklichkeitsbezug der Bilder von Ivan Andersen als fälschlich oder zumindest trügerisch. Zwar sind einzelne Elemente der Bildkomposition durchaus definierbar, auf eigene Wahrnehmungen und Erfahrungen beziehbar, doch erweist sich diese Vertrautheit letztlich als besonderes Moment der Irreführung, dem es obliegt, den Betrachter so weit in eine Illusion hinein zu befördern, bis er an den genannten Störfaktoren Anstoß nimmt, um schließlich an seinem Bedürfnis nach einfühlender Betrachtung und Versenkung zu scheitern und unwillkürlich aus dem Werk heraus katapultiert zu werden. Damit macht er sich gleichzeitig wieder frei für neue Ansätze, dem Bild zu begegnen. Nunmehr erscheint es ihm als komplexe Montage unregelmäßiger Farb-Form-Flächen, teilweise eher flächiger Natur, teilweise durch Andeutungen perspektivischer Verkürzung räumliche Tiefe indizierend. Der zunächst ausgemachten Szenerie ist eine kristalline, im Sinne des analytischen Kubismus parzellierte Struktur subkutan eingewoben. Ein Geflecht geometrischer Formgebilde liegt der Komposition konstruktiv zugrunde, um diese gleichzeitig in einer Umkehrbewegung von innen heraus einem dekonstruktiven Prozess zu unterziehen. Der im Stillstand gefrorene Augenblick wird aufgeschwemmt oder gar in eine implosiv anmutende Bewegung versetzt, ein Impuls, der in einigen Fällen durch ein feingliedriges Gefüge farbiger Linien und Bänder aufgenommen und tendenziell über das Bildgeviert hinausgeführt wird. In unterschiedlichen Farben aufflirrende und -flackernde Streifen setzen an den architektonischen Elementen des Bildes an und überführen diese in ein Raum und Fläche verschränkendes, labyrinthisches Flechtwerk, das sich jeder formalen Begrenzung widersetzt.

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