Christoph Kivelitz

H.R.REY. Déjà-Vu - Metamorphosen - Mythen

Enkaustik und Malerei, Landtag NRW, Düsseldorf, 28.1. - 27.2.2009

Einführungsrede

Der Begriff "Déjà-vu" hat mit unserem Gedächtnis zu tun. Man spricht ja von einem "Déjà-vu", wenn man jemandem begegnet oder ein Erlebnis hat, das eine merkwürdige, nicht zu bestimmende Erinnerung weckt, die Ahnung, eben dies schon einmal erfahren zu haben, sei es in einem prophetischen Traum oder im realen Leben. Man fühlt sich wie in einer Zeitschleife verfangen, aus der es kein Entrinnen gibt, oder in der Rolle des Sisyphos, dem wir im Übrigen auch in dieser Ausstellung begegnen. Wie dieser sind wir zu immer der gleichen Anstrengung verdammt, um darüber ein permanentes Scheitern zu erfahren. So mag es auch dem zeitgenössischen Künstler ergehen, der ja ständigem Innovationsdruck unterliegt, um dann aber nur zu erfahren, dass alles schon einmal da gewesen, alles hinlänglich bekannt und erkundet ist.

Der Titel der Ausstellung bringt folglich eine selbstironische Haltung zum Ausdruck; es wird ein kritischer Kommentar formuliert zu einem gegenwärtig immer weiter um sich greifenden Phänomen: dem Innovationsdruck und Fortschrittsprinzip, dem alle gesellschaftlichen Bereiche unterliegen. Hier setzt auch die Untersuchung der Künstlerin H.R.REY an. Sie bezieht sich in ihrer hier ausgestellten Werkgruppe auf Bildwerke der Kunstgeschichte, die in ihrem mittlerweile ikonenhaften Sonderstatus einem doppelten Verwertungsprozess unterliegen. Zum einen sind sie Gegenstand eines kunstwissenschaftlichen Diskurses, der das jeweilige Motiv in allen ikonografischen und symbolischen Bezügen akribisch und detailverliebt ergründet. Das Bild wird in akademischen Ausführungen verwandelt und ausgetrocknet zu seitenlangen Texten. Das Bild wird zu einem Baustein in einem Weltanschauungskonstrukt, das die eigentliche ästhetische Qualität der Malerei, die sinnliche Präsenz zur formelhaften Kulisse herunterstuft.

Daneben wird in der medialen Bilderflut ein weiterer Prozess in Gang gesetzt. Das Bild wird durch die Werbeindustrie instrumentalisiert zum Markenzeichen, zum Code, der im Sinne von Vermarktungsstrategien bestimmte Assoziationen, Empfindungen und Sehnsüchte heraufbeschwören soll. Aus der Gesamtkomposition werden einige Figuren oder Gruppen herausgelöst – die Gestalt der "Sixtinischen Madonna" von Rafael, die "Meninas" von Velasquez, die "Primavera" von Botticelli, die "Freiheit" von Delacroix -, denen ein unmittelbarer Wiedererkennungseffekt gegeben ist. Diesen Prozess des Herauslösens – im Zeichen eines Markenbranding, des "Einbrennens" einer Marke in unser visuelles Gedächtnis – analogisiert H.R.REY in ihrer künstlerischen Arbeit. Den Originalitätsanspruch konterkarierend, vervielfältigt sie im Fotokopierverfahren Gestalten, die durch spektakuläre Ausstellungen, Warenwerbung, Poster- und Postkartendruck oder Hollywoodfilme einem Massenpublikum bis zum Überdruss bekannt sind. Sie sind eingeschmolzen in ein kollektives Bildgedächtnis, das Demokratisierung vortäuscht, letztlich aber der Verfestigung gegebener gesellschaftlicher Strukturen Vorschub leistet. Aus eben diesem Fundus greift H.R.REY Figuren und Motive der Renaissance, des Barock oder selbst der Klassischen Moderne auf. Durch Ausschneiden der Figur bzw. einer gesamten Figurengruppe entleert sich diese zur Schablone, zu einer bloßen Erinnerung an das ursprüngliche Bildgefüge. Diese Leerformel wird dann durch Textfragmente ausgefüllt. Hierzu rekurriert die Künstlerin auf die kunsthistorischen Analysen und Interpretationen, die – wie anfangs ausgeführt – die Wahrnehmung des Bildes von der ästhetischen auf eine begrifflich-logische Ebene umgeleitet haben. Einzelne Worte bleiben durchaus leserlich, doch der diskursive Kontext wird durch die angeschnittenen Konturen ausgelöscht und somit dem Sinnbezug entrückt. Die Versatzstücke von Bild und Text verbinden sich zur chimärenhaften Erscheinung, die in ihrer Ungreifbarkeit in eine örtlich-zeitliche Unbestimmtheit entrückt, gleichsam an der Schwelle vor bzw. hinter einer möglichen Bedeutung verharrend. Die bläuliche Einfärbung der Gestalten erwirkt nicht nur eine Vereinheitlichung, sondern gleichzeitig eine Entstofflichung bzw. Entkörperung der Figuren. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den weiß verblassenden oder farblich stark zurück genommenen Umraum. Dieser ist durch strudelnde Bewegungen im Farbauftrag und Farbspuren in Gelb und Grün subtil gegliedert, teilweise auch durch lineare Abgrenzungen auf räumliche Situationen ausgerichtet. Anschnitte, verfremdende Bildelemente oder auch sich verflüchtigende Bildpartien stellen sich jeder Deutung oder Festlegung entgegen, als überlasse sich die Künstlerin bewusst dem bildnerischen Rauschen, in einem Raum zwischen monumentaler Belanglosigkeit und chiffriertem Gedächtnisraum. Durch die Fülle der Motive inszeniert H.R.REY einen Überfluss, der verunklärt, verwirrt, immer aber in faszinierender Weise erhellt und offenbart.

 

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