Text von Dr. Christoph Kivelitz im Katalog
Zeitgenössische Bildende Kunst und Architektur im Dialog, 2005, Stadtgärtnerei Bonn-Dransdorf. Hrsg.: Elisabeth Montag Stiftung, Bonn. Rasch Druckerei und Verlag GmbH & Co KG, Bramsche, 2005.
Stefan Korschildgen verfolgt in seiner praktischen und theoretischen Arbeit das Konzept einer "performativen Architektur". Wohnen begreift der Architekt als komplexen Vorgang, der auf unterschiedlichen Ebenen erfahrbar werden soll. Er reagiert auf eine zunehmend komplexe Auftragslage, die einer kaum zu kontrollierenden ökonomischen und sozialen Wirklichkeit entspricht und auf flexible und variable Formen drängt. Folglich entwirft Korschildgen mit seinem Büropartner Gerhard Kalhöfer nicht eine in allen Details vollendete und festgelegte bauliche Struktur, sondern er hält für den Jeweiligen Ort verschiedene Räume als optionale Baukonzeptionen verfügbar. Die klassischen Grenzen einer schematisch auf Nutzungen festgelegten Architektur werden aufgebrochen, um in fließenden Gebilden die Widersprüche und Mehrdeutigkeiten des sozialen Lebens aufzunehmen und eine dieser kaum steuerbaren Situation gemäße Wandelbarkeit des Raumes herbeizuführen. Die Wohnung figuriert nicht als Endzustand der Arbeit des Architekten, als ästhetisches Objekt der Repräsentation oder als Ordnungsbild für tradierte Verhaltensmuster, vielmehr als offenes System und Katalysator für nicht vorgefasste Handlungsmöglichkeiten.
Der Projektbeitrag 'Raum auf Zeit - Zeit im Raum' von Stefan Korschildgen nimmt die Grundform der "Urhütte" als architektonisches Motiv auf. Dieses versteht sich im Denken der Philosophie der Aufklärung als Sinnbild für die Versöhnung von Mensch und Natur, archetypisch formuliert über den harmonischen Ausgleich tragender und lastender Kräfte. Diesen Grundsatz findet er in den Konstruktionsrelikten der Gewächshäuser wieder. Auch deutet sich in der Offenheit dieser verfallenden Struktur ein dynamisches Verhältnis von Innen und Außen an, so wie es seine eigene Entwurfsarbeit kennzeichnet. Im allseits geschlossenen Zustand stellt der von Korschildgen errichtete Raum tatsächlich den Urtyp der Hütte dar. Das Dach zitiert das Giebelmotiv des griechischen Tempels als prägend für die abendländische Baukultur. Die Materialisierung dieser architektonischen Idealform bedient sich allerdings moderner, zeitgenössischer Verfahren und industriell produzierter Materialien, die in die architektonische Installation eingebracht werden: Fertigteile aus dem Garagenbau und Gerüstfolien und -gewebe. Die so geschaffene Konstruktion ist unvermittelt in das verwilderte Areal hineingestellt, so dass die klare Struktur des Gebäudes sich körperhaft aus dem weitestgehend ungegliederten Umfeld abhebt. In seiner herausgehobenen Lage suggeriert es einen möglichen axialen Bezug zwischen dem Panorama, das sich um die Anhöhe entfaltet, und einer Lichtung, die auf das Ensemble der Gewächshäuser ausgerichtet ist, ohne diese Achse tatsächlich aufzunehmen. Das "Haus" - von außen weiß bespannt - lädt zur Einkehr, zum Verweilen und zur Kontemplation ein. Der Besucher ist angeregt, in das Innere der Hütte vorzudringen und sich auf einer flachen, mit Kunstleder bezogenen Bank - gleichzeitig Sockel, Altar, Sofa oder Tisch - niederzulassen. Der zunächst vollständig gegenüber außen abgegrenzte Raum vermittelt durch die rote Bespannung eine Atmosphäre von Intimität, Geborgenheit und Wärme, die zu einer verinnerlichten Haltung des Besuchers führt. Über seilverspannte Stahlträger, die die Hütte kreuzförmig umfassen, greift der auf eine Grundform reduzierte Baukörper in das Gelände aus.
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