Christoph Kivelitz

Anne Rinn - Keep Your Boots Muddy

Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Umweltbundesamt, Berlin, 4.11. - 30.12.2010

publiziert auf der Website von Anne Rinn

Die Fließ- und Stillgewässer-Simulation des Bundesumweltamtes ist sicherlich ein ungewöhnlicher Rahmen für eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst. In einem gigantischen Versuchslabor werden hier Bedingungen natürlicher Gewässer simuliert. Störungen und Veränderungen von natürlichen Lebensräumen werden nachvollzogen, um deren Auswirkungen und Möglichkeiten der Regeneration zu ergründen. Anne Rinn bezeichnet ihr künstlerisches Projekt in diesem futuristisch anmutenden Szenarium als Exkursion, geht es doch zunächst darum, durch eine systematische Recherche die alltäglichen Abläufe, Zielsetzungen und Verhaltensmuster der hier arbeitenden Menschen nachzuvollziehen und zu verstehen. So hat ihr künstlerisches Vorhaben zu Teilen den Charakter einer dokumentarischen Reportage. Dieser Aspekt spiegelt sich in besonderer Weise in dem Video, in dem Sequenzen der wissenschaftlichen Arbeit beschrieben und durch sinnfällige Ausschnitte aus Interviews hinterlegt werden. Doch Anne Rinn geht weit über diese Dokumentation hinaus. Sie zielt darauf, die für uns kryptisch erscheinende Arbeit des Wissenschaftlers nicht nur selbst zu durchdringen, sondern diese in ihrer gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung einer breiten Öffentlichkeit zuzuführen, damit also die in unserer Gegenwart unüberbrückbar erscheinende Distanz von Wissenschaft und Öffentlichkeit anzutasten. Dabei umreißt sie gleichzeitig Berührungspunkte von Kunst und Wissenschaft, um hierüber Differenzen in der Herangehensweise und Ausrichtung sichtbar werden zu lassen.

Auf einer übergreifenden Ebene betrifft das Projekt Anne Rinns die problematische Wechselwirkung von Mensch und Natur in heutiger Zeit. Damit eröffnet sie ein Themenfeld, das seit der Romantik in immer neuen Konstellationen problematisiert wurde. Ein Widerstreit stellt sich etwa in einem Zitat Oscar Wildes dar: "Die Natur ist so unbequem. Der Rasen ist hart und bucklig und feucht und wimmelt von schrecklichem Ungeziefer. […] Wäre die Natur wohnlich, dann hätten die Menschen nie die Architektur erfunden, und ich ziehe die Häuser dem freien Himmel vor. In einem Haus fühlen wir uns alle im richtigen Verhältnis. Alles ist uns untergeordnet, für uns und zu unserem Behagen eingerichtet. Selbst der Egoismus, der für ein gesundes Gefühl der menschlichen Würde so unentbehrlich ist, entsteht ganz und gar aus dem Leben im Hause. […]"

Mensch und Natur werden hier in ihrer Gegensätzlichkeit empfunden. Die Natur sei dem Menschen feindlich und seiner individuellen Entwicklung zutiefst abträglich. Das Haus als vom Menschen geschaffene Kunstwelt wird dem Natürlichen als positives Gegenbild konfrontiert. Der expressionistische Architekt Paul Scheerbart stellt dem Antagonismus von Mensch und Natur ein hierarchisches Konzept gegenüber: Die Erdoberfläche würde sich sehr verändern, wenn überall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur verdrängt würde. Es wäre so, als umkleide sich die Erde mit einem Brillanten- und Emailleschmuck. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszudenken. Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als die Gärten aus tausend und einer Nacht. Wir hätten dann ein Paradies auf der Erde und bräuchten nicht sehnsüchtig in den Himmel zu schauen. Die Schöpfung des Menschen vermöge die Erde zu veredeln und einem Paradiesgarten anzuverwandeln. Das künstlich Geschaffene ist nicht nur das der Natur Gegensätzliche wie bei Oscar Wilde, sondern die Vollendung des natürlich Gewordenen. Damit entwirft der Architekt das Konzept einer verweltlichten Religion.

Eine auf Gleichwertigkeit zielende Haltung artikuliert sich demgegenüber beim Maler Paul Cézanne, der Kunst als eine Harmonie parallel zur Natur sehen wollte. Das Bild sei nicht Repräsentation oder Überhöhung von Natur, sondern dieser gleichwertig – in einer Analogie-Erfahrung - zur Seite gestellt. Eine Geste der Demut artikuliert sich schließlich bei den modernen Ökologiebewegungen, die versuchen, Mensch und Natur wieder in einen harmonischen Einklang zu bringen und eine weitergehende Zerstörung und Vernichtung natürlicher Ressourcen durch eine ganzheitliche Lebenseinstellung zu vermeiden. Diese auf Versöhnung zielende, oftmals sich missionarisch gebende Haltung spiegelt sich im künstlerischen Diskurs von Joseph Beuys wider. Das Projekt von Anne Rinn ist vor dem Hintergrund dieser Diskussionen zu betrachten. Doch in unserer Gegenwart ist die Gewichtung von Mensch und Natur weitaus vielschichtiger und komplexer als in den zitierten Beispielen.

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