Ausstellung in der Galerie Januar e.V., Bochum, 19. März – 6. Mai 1993.
Katalogaufsatz:
Jung Kug Seo arbeitet in Zwischenbereichen. Mit der fernöstlichen Kultur aufgewachsen, studiert er seit 1987 an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Günther Uecker, für den die Auseinandersetzung mit dem Gegensatz Ost-West von größter Relevanz ist. Über diese Polarität auf kultureller Ebene hinaus gibt es jedoch auch Verbindendes, das allerdings im politischen Bereich eine neue Spannung verkörpert: Korea ist – wie Deutschland noch vor kurzem – ein geteiltes Land, in dessen Teilung sich die politische Aufspaltung der Welt in konzentrierter Form widerspiegelt. Neben diesen kulturellen bzw. politischen Antagonismen, die für das Verständnis von Seo maßgeblich sind, ist auf einen dritten Spannungsfaktor hinzuweisen: den zwischen Natur und Zivilisation.
In seiltänzerischer Manier balanciert Seo auf dem schmalen Grat, der diese beiden Konstituenten unserer Lebenswelt scheinbar unüberwindbar voneinander trennt. Dabei unternimmt er immer wieder neugierige Ausflüge in eine der beiden Domänen, jedoch nur, um parasitär ein winziges Territorium für den jeweils konträren Part zu erobern. Hierfür seien einige Beispiele genannt:
Im vergangenen Jahr erhielt Seo ein Arbeitsstipendium von einem großen KFZ-Betrieb in Kiel. Er begab sich dort mitten unter die Werktätigen, jedoch nicht, um aus eigenem Antrieb dem sogenannten "Bitterfelder Weg" Folge zu leisten, indem er etwa den heroischen Arbeiter bloß "abzuschildern" suchte; er tat es vielmehr den Arbeitern gleich und verwandelte sich ganz im Geiste des sowjetischen Konstruktivismus in einen "Künstler-Ingenieur", dem es wesentlich um den direkten Umgang mit dem Material und um dessen konstruktive Verwandlung ging. Dabei ist jedoch auf eine bedeutsame Differenz zur Avantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts hinzuweisen: Seo geht nicht vom unbearbeiteten Rohmaterial aus, sondern quasi von dem sich aus der Produktion ergebenden Abfall: Blechplatten, aus denen Serienteile ausgestanzt werden, erscheinen ihm als einer weiteren Verarbeitung würdig. Indem er etwa die beiden Seiten zusammenfügt, entstehen architektonisch anmutende Skulpturen. Eine immer wieder sich ergebende Grundform ist die des Turmes mit gerasterter Fassade. Die Serialität des Produktionsprozesses spiegelt sich in der gleichförmigen Folge der Leerstellen wieder.
Um nun jedoch auf die zu Beginn gestellte Problematik der Antagonismen zurückzukommen, soll auf das Subversive an diesem Verfahren verwiesen werden. Seo entzieht der ausschließlich dem Funktionalitätsprinzip gehorchenden Maschinerie ein Abfallprodukt, das einerseits Spiegel eben dieses Prinzips ist, indem er dies in Form der ausgestanzten Leerstellen quasi als Idee in sich aufbewahrt, das sich andererseits jedoch jeder weiteren Funktionalisierung – zumindest in dieser Form – für immer verwehrt. Seo verwandelt es nun durch einige minimale Eingriffe – Biegen, Zusammenfügen, Anstreichen – zu einer Form, die als architektonische zwar Benutzbarkeit impliziert, diese jedoch ausschließt. Letztlich entsteht so etwas wie das Kant'sche "Ding an sich", also etwas, was der Zivlisation und damit einer wandelbaren Werteskala abgerungen wurde.
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