Christoph Kivelitz

Ruud van Empel: Avatare des Heiligen und des Schönen

Aufsatz im Katalog 'Ruud van Empel - Fotografie'

zur gleichnamigen Einzelausstellung im Kunstverein Talstrasse e.V., Halle / Saale, 24.7. - 5.10. 2008. Hrsg: Kunstverein Talstrasse e.V.  ISBN 978-3-932962-43-1

Ruud van Empel (*1958 Breda, Niederlande)

 

Ruud van Empel - Fotografie. Katalog-Cover, 2008Das Streben nach dem idealen Schönen ist nicht nur Antriebskraft der abendländischen Kunstgeschichte. Es setzt sich fort in der zeitgenössischen Medienindustrie und der Schönheitschirurgie. US-amerikanische Erfolgsserien wie 'Desperate Housewives' rücken den Kampf gegen die Vergänglichkeit physischer Schönheit und den damit verbundenen Punkteverlust im Kampf um Erfolg und Anerkennung zum existentiellen Kampf, um den sich eher banale Beziehungsprobleme, Intrigen und Alltagsprobleme ranken. Wie in der klassischen Commedia dell'Arte prägen diese weltweit ausgestrahlten Serien bestimmte Typen aus, denen schicksalhaft bestimmte Ereignisse zufallen, ohne dass sie selbst den Lauf der Dinge in irgendeiner Weise zu verändern oder zu beeinflussen vermögen. Die rhythmische Wiederkehr tragischer Verkettungen und die scheinbare Endlosigkeit dieser immer weiter fortgeschriebenen Serien konterkariert das den Gesichtern der Schauspielerinnen unweigerlich sich einzeichnende Vergänglichkeitsmotiv, das jedoch durch die Unveränderlichkeit des Umfelds und der äußeren Umstände permanent retardiert wird. Jeder dieser Serien sind Realitätsfragmente, eigene Erfahrungen, wahre Geschichten eingeschrieben. Doch sie fügen sich zu einer Wirklichkeit, die in ihrer Künstlichkeit der Kontingenz der alltäglichen Lebenspraxis unendlich weit entrückt ist. Der spießige Vorstadttratsch und der affektierte Großstadtglamour plänkeln feierabendlich in die kleinbürgerliche Wohnzimmergemütlichkeit, in der der Zuschauer sich angesichts der Vorhersehbarkeit der Dinge beruhigt auf seine auktoriale Betrachterposition zurückziehen mag. Dabei sind die Protagonisten dieser Serien schicksalhaft aneinander gekettet über ein sie verbindendes Mysterium, dessen Auflösung immer nur partiell erfolgt, das aber den Motor einer sich endlos perpetuierenden Dramaturgie darstellt. Die Faszination bezieht sich dabei aus der geschickten Durchdringung realitätsbezogener Erzählstränge mit solchen, die sich aus mythischen oder epischen Motiven ableiten lassen und in denen sich eine gleichsam metaphysische Ebene des Wirklichen und eine diesem eingewobene Sinnstiftung offenbart. Die Realität des Films ist ursprünglich auch das Arbeitsfeld Ruud van Empels. So arbeitet dieser zunächst als Production-Designer, dem es obliegt, für ein bestimmtes Drehbuch oder eine Studiosituation den idealen Hintergrund zu entwerfen und damit beim Zuschauer die je angemessene Illusion zu befördern bzw. den thematischen Kontext durch atmosphärische Stimmungen oder motivische Versatzstücke vor Augen zu führen. Aspekte der gelebten Wirklichkeit werden in solcher Weise verbunden, dass sie sich in der medialen Anschauung auf diese rückbeziehen lassen, um gleichzeitig eine übergeordnete Analyse-, Erzähl- oder Betrachterebene anzuzeigen. In seiner künstlerischen Arbeit findet Ruud van Empel seine Methode darin, skizzenhaft umrissene Vorstellungen und Ideen durch vorgefundenes, teils auch selbst angefertigtes Fotomaterial - einer malerischen Komposition oder dem musikalischen Sampling vergleichbar- bildhaft umzusetzen. Die Fragmente aus Zeitschriften, dem Internet und Fotografien müssen sich dabei so konform zusammen fügen und sich in eine übergreifende, scheinbar perfekte Ordnung einbringen, dass die Illusion eines Abbildes von Wirklichkeit entsteht. Die hierbei zunächst zur Anwendung gebrachten Verfahren der Fotocollage entwickelt der Künstler weiter bis hin zu komplexen digitalen Montagen, in denen auch eigene Fotografien verarbeitet sind.

Thema Ruud van Empels ist das Bild des Menschen. In einer gleichsam malerischen Anwendung der Fotografie zeigt er Personen in ganz unterschiedlichen Kontexten: als berufliches Rollenbild, Inkarnation eines Schönheitsideals oder Verkörperung von Unschuld und Keuschheit. Im Spannungsfeld von Idealität und Realität gehen die Porträtierten vollständig in dieser Projektion auf. Der Fotograf reduziert die Gestalten auf einen Typus, der weitestgehend charakterliche oder stimmungsmäßige Besonderheiten ausblendet. Für diese Darstellung konstruiert Ruud van Empel einen bühnenartigen Raum, der durch seine Atmosphäre, Attribute und eine besondere Lichtführung die jeweilige Typisierung befördert. Dabei fällt auf, dass die wie in einem Schaukasten oder einer Guckkastenbühne dem Blick des Betrachters ausgesetzten Menschen sich dessen bewusst zu sein scheinen, Gegenstand der Betrachtung und Bewertung zu sein. Der Blick ist grundsätzlich einem imaginären Beobachter zugewandt, um sich diesem selbstbewusst, wenn nicht gar herausfordernd zu stellen und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Bildinszenierung und den eigenen Assoziationen einzufordern.

Die Bilder der Serie 'The Office' zeigen hinter einem Schreibtisch oder einer Arbeitsfläche posierende Personen, deren berufliche Identität durch hypertrophisch angehäufte Attribute und Dekorelemente mehr als eindeutig bestimmbar, teilweise gar bis zur Karikatur übersteigert ist. Die gleichförmige Ausleuchtung der bühnenhaft arrangierten Situation verstärkt die unwirkliche Anmutung der Szene. Die Anordnung der Dinge an der rückwärtigen Wand bzw. in einer Allover-Struktur über die gesamte Bildfläche gestreut entspricht keiner realen Konstellation, vielmehr einem TV-Studio oder einem Requisitenlager, in dem alle möglichen Dinge verfügbar gehalten werden.

Die Bildgegenstände sind im Sinne einer flächenbezogenen Komposition ausgebreitet. Der Mensch als eigentlicher Mittelpunkt dieser Anordnung wird im Zusammenwirken der ihn umgebenden Gegenstände charakterisiert. Er scheint die Dinge als deren gemeinsamer Bezugspunkt zu beherrschen, um gleichzeitig diesen gegenüber als Individuum zurückzutreten, sich selbst dieser dekorativ anmutenden Anhäufung von Dingen zu subsumieren und so paradoxerweise von diesen seinerseits beherrscht zu werden. Im Sinne der beruflichen Kennzeichnung verschieben sich, dem Verfahren der mittelalterlichen Bedeutungsperspektive vergleichbar, die Proportionen und Gewichtungen. Weder Lichtführung noch Detailzeichnung sind aus einer realen Situation abzuleiten, vielmehr zur Akzentuierung der Bildaussage zum Einsatz gebracht. In späteren Versionen dieser Werkgruppe wird die dekorative Bildwirkung durch die Verarbeitung von Farbfotografien noch verstärkt. Gleichzeitig erhöht sich der Abstraktionsgrad der Bilder. Die Gestalten werden als Bestandteil einer sich zum Ornament verfestigenden Bildmontage in starren Haltungen fixiert. Indem die Bildrealität sich weitestgehend von realen Handlungsbezügen und Wirkungsweisen ablöst, entrückt die Porträtdarstellung der Kontingenz von Zeit und Raum.

Die Geschichte des Porträts beginnt mit dem Bestreben der Künstler, das Kriterium der Ähnlichkeit zum Thema ihrer Darstellung zu machen. Dazu zählte nicht nur die äußere Erscheinung, sondern mit dem späten 15. Jahrhundert auch eine Annäherung an das Wesen des Modells. Dem Rollenspiel in sakraler, mythologischer und historischer Verkleidung wurden die identifizierbare Physiognomie und ein psychologisches Moment gegenüber gestellt. Parallel hierzu, gegen Ende des Quattrocento, als die italienischen Künstler das Studium der Anatomie und der Proportionen entdeckten, entwickelte sich eine Normvorstellung von Schönheit und körperlichem Ideal gegenüber der Unvollkommenheit der Natur. Schönheit galt fortan als klug und rechtschaffen, Hässlichkeit als dumm und gemein. So ist das Porträt der Renaissance ein ästhetisches Konstrukt und moralisches Postulat. Bis ins 20. Jahrhundert - und darüber hinaus bis in die Gegenwart - leben die hiermit formulierten Kategorien zur Beurteilung der menschlichen Physiognomie fort. So können die Künstler der Neuen Sachlichkeit, des Expressionismus und selbst der zeitgenössischen Filmindustrie sich diese Wertmaßstäbe im Sinne einer politischen oder moralischen Stellungnahme zunutze machen und den Betrachter entsprechend polarisieren.

Ruud van Empel knüpft an diese unterschiedlichen Bildniskonzeptionen an, ohne sich in Bezug auf die Koordinaten von Ähnlichkeit und Idealisierung eindeutig zu positionieren. Er zitiert in der Werkgruppe 'The Office' das Berufs- oder Ständeporträt, so wie es durch die Gilden und Berufsvereinigungen flämisch-niederländischer Tradition ins Leben gerufen worden ist, um es jedoch in ein neues semantisches System zu übersetzen. Es handelt sich hier nicht um ein restauratives Unterfangen. Der Künstler zielt vielmehr darauf, divergierende Realitätskonzepte komplex ineinander zu vermitteln. Er geht von Bildern aus, die ursprünglich aus der Alltagswirklichkeit herausdestilliert und der medialisierten Welt subsumiert worden sind. Er löst sie selektiv aus dem gegebenen Sinnkontext, um sie für neue Verknüpfungen und Deutungen zu öffnen. Es vollzieht sich hier in gewisser Weise ein Umkehrprozess. Nicht die Realität ist dem Abbild vorgelagert, sondern Fragmente von Ab- und ikonographischen Vorbildern wirken solchermaßen zusammen, dass sich aus ihnen eine neue Form von Realität bezieht. Diese lässt sich nicht mehr primär als Abbild beschreiben, gestaltet sich vielmehr als Schnittmenge aus Realitätspartikeln, Bildmustern, der Imagination und dem visuellen Gedächtnis von Künstler und Betrachter gleichermaßen. So geht es nicht allein darum, die Person in ihrem Rollenverhalten kenntlich zu machen. Darüber hinaus wird ein vielschichtiges, in sich widersprüchliches ästhetisches Konzept sichtbar, in dem vielfältige mediale Bezugsebenen ineinander gespiegelt sind. Im Rückgriff auf die Bildnistypologien der Renaissance verbindet der Künstler die figürliche Darstellung in einer Interieursituation mit einem Konglomerat von Dingen, die dem Porträtierten attributiv im Sinne einer Charakterisierung zugeordnet sind und eine soziale Hierarchiestellung zum Ausdruck bringen. Psychologische Merkmale werden - wenn überhaupt - als Funktion dieser Berufszugehörigkeit relevant. So artikuliert sich hier eine Porträtkonzeption, die dem Leitbild einer wesenhaften Vergegenwärtigung der Persönlichkeit zuwider läuft. Figur und Umfeld verschmelzen in einer gemeinsamen semantischen Struktur, deren Konsistenz auch in der rhythmischen bzw. ornamentalen Durchgliederung der Bildordnung sichtbar wird. Das Individuum wird in seiner Besonderheit ausgelöscht, in einen Funktionszusammenhang eingegliedert und einem Räderwerk übergreifender Mechanismen unterworfen. Das soziale Rollenbild wird zum Vorwand einer selbstgenügsamen ästhetischen Ordnung, die sich in einem Umkehrschluss dann aber auch wieder auf die gesellschaftliche und psychologische Ebene zurück beziehen lässt; ist unsere Lebenswelt doch in hohem Maße durch Mechanismen der Entindividualisierung, Funktionalisierung und ästhetischen Normierung bestimmt. Letztlich soll keine der beiden Optionen von Idealisierung und Ähnlichkeit ungebrochen aufgenommen, sondern dieser Antagonismus grundsätzlich in Frage gestellt werden. Hier geht es nicht darum, eine Persönlichkeit als Individuum zu charakterisieren, vielmehr darum, in einer hermetisch geschlossenen ästhetischen Ordnung eine pars-pro-toto-Figur auszuprägen, die eine soziale und auch psychologische Struktur sichtbar werden lässt. Diese ist in hohem Maße durch heterogene, in sich konträre Wahrnehmungen und mediale Bezüge bestimmt. Der Künstler konstruiert ein Wirklichkeitsmoment, das - scheinbar homogen gefasst - sich nicht unmittelbar aus einer eindimensionalen Alltagserfahrung ableiten lässt. Es baut sich eine Distanz von Bild- und Betrachterebene auf, die den thematischen Bezug transzendiert und dem Betrachter eine Reflexion über den komplexen Status von Bild und Wirklichkeit abverlangt. Ruud van Empel schafft eine Meta-Realität, die die Differenz von Fakt und Fiktion in sich aufgehoben hat. Er zielt auf einen Prozess der Verdichtung und Übersteigerung, in dem Aspekte des Realen und des Virtuellen, gleichermaßen aber auch Facetten des Bewussten und des Unterbewussten zur Erscheinung kommen.

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