Christoph Kivelitz

Michael John Whelan - Behind the Sun

Text im Katalog Red Sky Morning, Argobooks, Berlin 2009

Zeit ist ein Phänomen, von dem man glaubt, es sei physikalisch messbar. Man weiß aber auch, dass die subjektive Empfindung, jeweils abhängig von den Umständen, ein und denselben Augenblick unendlich lang oder unendlich kurz erscheinen lassen kann. Sie ist nicht direkt, nur mittelbar an den Veränderungen, an Positionsverschiebungen im Raum, an der Bewegung, an atmosphärischen Phänomenen, an Prozessen des Wachsens, des Alterns, des Werdens und Vergehens spür- und wahrnehmbar. Im fotografischen oder gemalten Bild scheint sie zum Stillstand gebracht zu sein, wird aber doch über bestimmte Verfahren zur Anschauung gebracht. So lässt der fruchtbare Augenblick die Fortsetzung einer vor ihrem Höhepunkt eingefrorenen Handlungssequenz imaginieren. Ein fallender Gegenstand führt uns, in Kenntnis der Gesetze der Schwerkraft, zur gedanklichen Konsequenz eines zwangsläufig eintretenden Aufprallens auf dem Fußboden. Das für einen Moment angehaltene Bild wird mit Erfahrungen und Vorstellungen verknüpft und neuerlich in ein zeit-räumliches Kontinuum eingebracht.

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Diesem Thema widmet sich Michael John Whelan in seinen künstlerischen Projekten zwischen Fotografie, Video und Film. Um komplexe Empfindungen von Zeitlichkeit zwischen Stillstand, Verzögerung und Entrückung anschaulich werden zu lassen, hat er bestimmte Verfahren der Kameraführung und des Filmschnitts entwickelt. Dabei legt er Film und Video jeweils ganz unterschiedliche Darstellungs- und Erzählstrategien zugrunde. Dies sei zunächst an den Videoprojekten Michael John Whelans dargestellt. Wie ein Maler oder Fotograf, der eine topographische Situation festzuhalten sucht, setzt der Künstler für die Videoaufnahme einen festgelegten Bildausschnitt fest. Dargestellt sind ganz alltägliche Landschaften und Orte seiner Umgebung, die allerdings durch die ungewöhnliche Fixierung des Blickwinkels in ein raum-zeitliches Nirgendwo entschweben. Di ffuse Raumstrukturen blenden die Horizontlinie, damit auch einen möglichen Aug- und Fluchtpunkt für den Betrachter, aus. Dunst- und Nebelwirkungen erschweren nicht nur die Lokalisierung und Deutung des Bildes, sondern stellen sich jedem Versuch der Verortung und Klärung entgegen; Landschaftliches löst sich in Atmosphärisches auf. Dinge und Körper vergehen gleichsam malerisch zu undefinierten, permanent in sich veränderlichen Farb- und Formstrukturen. Das allmähliche Aufhellen bzw. die sukzessive Klärung des diffusen Bildeindrucks entspricht einem normalen Wahrnehmungsvorgang, in dem es dem Betrachter gelingt, einen zunächst unscharfen Seheindruck mit dem Blick zu durchdringen, Details auszumachen, sich in der Situation von Ort- und Zeitlosigkeit allmählich zu orientieren, das Wahrgenommene mit Bekanntem zu verknüpfen. Das Sehen verbindet sich so elementar mit einem Prozess des Denkens und Benennens. Dabei hält der jeweils gewählte Bildausschnitt grundsätzlich die Möglichkeit eines wie auch immer gearteten, auf jeden Fall überraschenden, in das Bild tretenden Geschehens offen. Das zunächst wie im Stillstand verharrende Bild wird kaum merklich durch einen beiläufigen, in keiner Weise spektakulären Vorfall aufgebrochen. Unmerklich konturieren sich Vorstellungen, wird - wie aus einem offenen Kontinuum herausgeschnitten – ein Handlungszusammenhang erkennbar, der sich zum Ende aber wieder verflüchtigt und vergeht. Eine Handlung, die unter gewöhnlichen Umständen vermutlich komplett übersehen worden wäre, schiebt sich vom Rand ins Zentrum der Wahrnehmung. So verschränken bzw. verschieben sich unterschiedliche Zeit- und Wahrnehmungsebenen. Michael John Whelan lotet das Verhältnis von Augenblick und Aktion aus, indem er ein scheinbar jeder weiteren Veränderung enthobenes Bild partiell in Bewegung setzt, heterogene Zeitwahrnehmungen aufkommen lässt und in ein mediales Kontinuum überführt, um sie schließlich wieder von einander abzulösen. Die Narration entsteht durch eine schwebende, bildinterne Kommunikation. Durch die radikale Verunklärung der Bezüge von Raum und Zeit versetzen die Videos von Michael John Whelan den Betrachter in eine Lage der Halt- und Bezuglosigkeit.

Das Video New Day zeigt so etwa eine abgeschiedene Felsenbucht. Allein das sanft wogende Wasser vermittelt dem einer Fotografie nahekommenden Bild eine transitorische Qualität. Über eine in einen Fels geschlagene Treppe steigt dann in zögerlichen, wie retardiert anmutenden Bewegungen ein alter Mann ins Meer, um hier - gemeinsam mit einem weiteren Badenden – schwimmend einige Runden zu drehen, das Wasser dann wieder zu verlassen und in einer Zeitschleife diesen Ablauf permanent zu wiederholen. Das graduelle Erscheinen eines Badenden in den eng gefassten Rahmen ist zwar eigentlich nicht sehr bedeutsam, verdichtet sich in dieser Fokussierung und Verzögerung jedoch zum Ereignis, das eine Kette von Bildern und Verknüpfungen zu assoziieren gibt. Letztlich bleibt allerdings die konkrete Verortung irrelevant für die Szene und die durch sie geweckten Empfindungen. Im Vordergrund steht die Prägnanz eines in seiner Belanglosigkeit befremdlichen Bildes, das zwischen Stillstand und subtiler Veränderung balanciert. Auch in seinem Video After the Hunt zeigt Michael John Whelan eine Szene, aus der Menschen im wörtlichen Sinne zunächst ausgeblendet und dann als bloß schattenhafte Chimären eingezeichnet werden. Doch gerade die radikale Leere und das bloß beiläufige Erscheinen des Menschen vermitteln der Erzählung, auf ein Minimum oder ein Fragment von Handlung reduziert, eine außerordentliche Bedeutsamkeit. Das Banale verbindet sich mit dem Außergewöhnlichen über die Empfindung von Abwesenheit.

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www.michaeljohnwhelan.com

 

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- Bilder aus dem Katalog