Christoph Kivelitz

Bettina Brakelmann: Deko-Terror

Text im Katalog Bettina Brakelmann - DEKO-TERROR, erschienen zu ihrer Ausstellung im Bochumer Kulturrat, 2007Bettina Brakelmann: Deko-Terror

Was ist Deko-Terror? Das Dekorative versteht sich als Ausschmückung und wird damit vom rein Zweckmäßigen als nicht unbedingt notwendiges Attribut abgehoben. Dabei sind zwei sich grundsätzlich ausschließende Blickwinkel möglich. Zum einen kann das funktionale Objekt als das Authentische, das Eigentliche, das Unverfälschte verstanden werden, das durch überblendendes Beiwerk deformiert und seiner ursprünglichen Bestimmung entzogen wird. Diese Sichtweise entspricht der puristischen Sichtweise der Moderne, die das "Ornament als Verbrechen" gar in moralische Kategorien gefasst hat. Das Freistellen von allem Zierrat wird als Prozess der Reinigung und Erneuerung betrachtet und in den Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Erneuerung gebracht. Wie die Form aus der Funktion abzuleiten ist, so ergebe sich aus dieser Reduktion auch eine geistige Katharsis, aus der das Leitbild des "neuen Menschen" sich formen mag. Andererseits kann Deko aber auch als Veredelung und Vollendung einer Rohform gedeutet werden. Diese wird durch Verzierungen und dekoratives Gepränge dem Betrachter näher gebracht; es eröffnen sich emotionale oder narrative Zugangsweisen; das grobe und unfertige Konstrukt wird über schmückende Versatzstücke in das architektonische Umfeld harmonisch eingebunden.Vielleicht lässt sich die autistisch auf sich selbst bezogene Grundform hierüber auch auf eine semantische Ebene befördern, um assoziativ eine Vielfalt neuer möglicher Perspektiven herbeizuführen. Hier knüpft die Ästhetik der Postmoderne an.

Der Begriff des Deko-Terrors impliziert jedoch von vorne herein eine nahezu krankhafte Übersteigerung. Diese ist Ergebnis einer Kommerzialisierung und Verflachung aller kulturellen Werte in den medialen Bilderfluten. Die Differenzen von "high and low" lassen sich kaum noch ausmachen, werden doch Bilder und Symbole der Hochkultur durch einen auf Sensationen und Rekorde setzenden Massentourismus selbst zum Produkt der Werbung und der Life-Style-Industrie. Das Singuläre und Bedeutungsvolle wird durch die Ansprüche einer ausufernden Popkultur zwar penetrant allgegenwärtig, um jedoch gleichzeitig in aller alles verwertenden Bilderproduktionsmaschinerie zerrieben, sinnentleert und entwertet zu werden. Diesem Prozess sind nicht nur die in Museen verwahrten materiellen Bildwerke unterworfen, sondern gleichermaßen Festlichkeiten, Bräuche und symbolische Handlungen. Ihrer ursprünglich zeremoniellen oder liturgischen Bedeutung im Lebenszyklus enthoben, wird ihnen allein durch das überbordende Dekor die Illusion von Bedeutsamkeit gestiftet.

Der schöne Schein gibt Halt in einem Alltag, der Rhythmus, Rahmen und Struktur eingebüßt hat. Staubfänger und "Stehrümchen" konturieren ein Bild von Persönlichkeit, das in der andauernden Suche nach dem "Superstar" verflossen ist. Massenhaft produzierte, völlig zweckfreie Dinge stehen für Vorlieben und Charaktereigenschaften, über die der Einzelne sich abgrenzen und als Individuum zu behaupten vermag, sind gleichzeitig aber auch Ausdruck einer immer weiter gehenden Vermarktung und Entindividualisierung, der jede Privatsphäre schließlich erliegen wird. Im Dekorativen spiegelt sich also das Bedürfnis, sich persönlich dazustellen, ein Bild von sich zu vermitteln, eine Botschaft und Spuren zu hinterlassen; gleichzeitig reflektiert das Dekorative aber auch das Scheitern dieses Unterfangens, wird doch alles Bedeutende und Einzigartige durch die Gleichförmigkeit der Versatzstücke überstrahlt.

Allein die ganz bewusste Haltung gegenüber diesem Deko-Terror, die Entwicklung gezielter Gegenstrategien weist einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma. Hier setzt die künstlerische Arbeit von Bettina Brakelmann an. Für ihre Installation "Deko-Terror" sammelt sie Gegenstände, Texte und Bilder, in denen das Dekorative die ursprüngliche Funktion überlagert und sich damit verselbständigt zu haben scheint: den Wackel-Dackel, der eine ganze Generation von PKWs in Beschlag genommen hat, die Diddl-Maus, die offenbar einen ganzen Industrie- und Handelszweig am Leben hält, und Merchandising-Artikel, die zu Filmproduktionen oder zu großen Ausstellungsevents herausgebracht wurden. Die Sammelarbeit von Bettina Brakelmann verfolgt die grotesken Auswüchse der PR-Kampagnen, der Branding- und Marketing-Konzepte, in denen jeder inhaltliche Bezugspunkt im Sinne der Vermarktbarkeit dem Verniedlichungszwang unterworfen wird. Walt Disney ist überall! Dem Groteskenkabinett aus dekorativem Krimskrams und absurden Sinnsprüchen stellt die Künstlerin ganz profane Alltagsdinge gegenüber, die als Fundstücke wiederum mit ihrem eigenen Deko-Stempel versehen werden, um sich damit in den alle gesellschaftlichen Bereiche erfassenden Deko-Terror einzuklinken. Eine einfache Klobürste wird so in gewisser Weise mit einer Signatur versehen, die gleichwohl jede individuelle Handschrift negiert. Bettina Brakelmann assimiliert sich an die Gesetzmäßigkeiten des Merchandising, um damit die Differenz von "high and low" ihrerseits in Frage zu stellen und gleichzeitig für sich und den Betrachter die Freiräume eines gestalterisch verändernden Eingriffs auszuloten.

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- Bilder aus dem Katalog