Christoph Kivelitz

Der Gulp - Inversion einer Ausstellung

Gilbert Geister und Matthias Schamp, Dortmunder Kunstverein, 16.08 - 21.9. 2008. Kurator: Christoph Kivelitz.

Einführungsrede zur Eröffnung am 16. August 2008. (Sie entspricht der Rede, die zugleich sein Alter Ego, die Comic-Figur "Doc Kivelitz", in einer sich über drei Seiten hinziehenden Riesensprechblase innerhalb des Comics DER GULP hält, der auf der Ausstellung erstmals präsentiert wurde.)

Der Gulp

Meine sehr verehrten Damen und Herren. Gerne möchte ich Ihnen wortreich erläutern, was ein Gulp, zu dessen Besuch wir hier heute Abend zusammen gekommen sind, überhaupt ist. Das Wort bezeichnet ein Ding, das sich nicht begreifen lässt, eine Vorstellung, die sich paradoxerweise nicht begrifflich, in Worten erfassen lässt. So obliegt es mir, in Worten etwas zu beschreiben, was sich jeder Beschreibbarkeit und Festlegung entzieht. Es ist ein vages, amorphes Gebilde, das von jeder Zweckbestimmung freigestellt ist und sich allein durch den Kontext, wenn überhaupt annäherungsweise, erschließt.

Die Geschichte des Gulp ist eng verwoben mit dem Erscheinen von zwei Gestalten, die für gewöhnlich als Künstler bezeichnet werden und ihrerseits diesen heutigen Abend mit Ihrer Gegenwart beglücken. Dabei stellt sich nun die Frage, ob wir es dem Gulp zu verdanken haben, dass sie – und damit auch wir – hier heute zusammen gefunden haben oder es nicht sie sind, die den Gulp überhaupt erst hierhin befördert habe. Getroffen haben sie sich in Bochum, wo ja auch ich ihnen erstmals begegnet bin, Gilbert Geister und Matthias Schamp. Der Gulp ist ein Geschöpf ihrer Phantasie, die sich hier an diesem Ort zu materialisieren scheint. Der Gulp ist Anlass und Gegenstand dieser von ihnen in die Welt gesetzten Comic-Erzählung, die wir hier heute Abend selbst besichtigen und bestaunen können, um damit festzustellen, dass auch wir Gegenstand der Bilderzählung geworden sind. Alles ist so mit allem verwoben. Wie die beiden Künstler die unumstößlich scheinenden Barrieren zwischen den beiden Städten Bochum und Dortmund überwunden haben, so verwischen sich auch die Grenzen zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen zwischen Wahn und Sinn, Traum und Alltag. Damit erübrigt sich natürlich auch die mir von Akademikern angetragene Fragestellung, ob es sich bei einem Comic überhaupt um Kunst handeln mag, mit welcher Berechtigung dieses Medium Eingang in diesen hehren Kunstort gefunden hat. High and Low sind hier mal wieder ins Strudeln geraten, um uns zu verwirren und uns neue Blickwinkel abzugewinnen. Wieder einmal sehen wir uns veranlasst, das Terrain des Bekannten und Gewussten zu verlassen, um uns in einem abenteuerlichen Spiel in völlig unbekannte Zukunfts- und Bedeutungsregionen vorzutasten. Dies ist sicherlich mit einem Risiko behaftet, dem Risiko des Scheiterns, des Sich-Verlierens in völliger Sinn- und Strukturlosigkeit. Dieses wiederum wird unseren Gegnern Auftrieb geben, den Apologeten erstarrter Formen, hohler Gesten, des Immer-So-und-Niemals-Anders.

Kehren wir nun zum Gulp und seiner verstörenden Präsenz in diesem Ausstellungsraum zurück. Der Gulp wird in aufgesockelter Präsentation zum Objekt unserer bewundernden Betrachtung, die uns letztlich doch nur mit unserem eigenen Nicht-Verstehen konfrontiert. Dabei wissen wir nicht einmal, ob er real körperhaft hier unter uns weilt oder aber nur ein Ergebnis unserer gemeinschaftlichen Projektion, damit ein bloß virtueller Gegenstand ist. Diese Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten mögen Ablehnung oder Faszination befördern, in jedem Fall produzieren sie eine Distanz, die wir in Aggression oder Kontemplation fruchtbar werden lassen. So trägt der Gulp ein nicht zu unterschätzendes Energiepotential in sich. Er ist nicht nur Anlass unseres Zusammenkommens, regt uns nicht nur zu Kommunikation und Dialog an, sondern scheint permanent seine grünlich wabernde Form zu verändern, uns dadurch selbst in Bewegung zu versetzen und so fast explosiv über seine eigenen Grenzen hinauszudrängen. Dies verbindet ihn mit dem Grundverständnis des Kunstvereins, der seine Ausstellungen ja nicht einem exklusiven Zirkel vorbehalten möchte, sondern seine Botschaften in den Stadtraum und darüber hinaus zu tragen sucht. So mag es kein Zufall sein, wenn wir bei einem prophetischen Blick in den weiteren Verlauf der Geschichte erleben, dass alle uns gewohnten Strukturen von dramatischen Geschehnissen mitgerissen und davon getragen werden. Die vertraute Wahrnehmung von Raum und Zeit wird kraft der dem Gulp innewohnenden Dynamik aufgelöst, um in einem Strom von Farben und Formen, in einem die gesamte gesellschaftliche Realität erfassenden Action Painting auf unbekannte Erlebnisdimensionen ausgerichtet zu werden.

Die beiden Künstler ermächtigen sich aller künstlerischen Strömungen der Moderne. Mit deren Hilfe inszenieren sie eine fantastische Performance, in der alle Bereiche des sozialen Lebens einer radikalen Transformation bis hin zur Unkenntlichkeit und totalen Erneuerung zugeführt werden. Der Anspruch der Avantgarde, Kunst und Leben in einer umfassenden Revolution ineinander zu verschmelzen, wird endlich der Realität zugeführt, um in einer befreienden Vision letztlich nicht allein deren Gegensätzlichkeit, sondern gleichermaßen sie selbst, und damit auch uns, auszulöschen. Hier offenbart sich uns die Chance für einen hoffnungsfrohen Neubeginn. Mögen wir diese Chance ergreifen. Denn immerhin wissen wir doch, dass wir selbst kaum gefährdet sind, können wir doch jederzeit die Seiten dieses Comic zuschlagen und damit in die Ebene der Realität zurückkehren, der wir damit offenbar den Vorzug geben möchten. Vielleicht schleicht sich dann aber subversiv ein Tropfen des Gulp mit in Ihren Alltag ein, um dann ganz unmerklich, erst ganz langsam, dann unaufhaltsam und immer kräftiger in Ihrer unmittelbaren Umgebung sein Veränderungs- und Erneuerungspotential ins Werk zu setzen. Wohlmöglich werden Sie sich dann meine lehrreichen Worte in Erinnerung, mich selbst zu Ihrer Hilfe rufen. Gemeinsam mit Ihnen werde ich dann sicherlich bereit sein, Sie auf Ihrer Reise in die Spiegelwelten der Fantasie zu begleiten.

Mehr dazu: www.der-schamp.de/Kunst%20Comics/kunstcomics.html

 

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link Bilder aus der Ausstellung (also vom Comic)

link Website von Matthias Schamp

link Website von Gilbert Geister