Christoph Kivelitz

Janina Kracht – Materialcollagen

Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V., 05.07. - 03.08. 2002. Kurator: Christoph Kivelitz.

Janina Kracht (*1964 in Dresden)

Einführungsrede

Die erste Begegnung mit den Materialcollagen von Janina Kracht verführt den Betrachter, den Eigenwert des Bildes absolut zu setzen. Bei einem vertiefenden Zugang eröffnen sich jedoch andere Perspekt6iven, die uns die Aufgabe stellen, die komplexen Zusammenhänge von Bild, Sprache und Zeichen zu untersuchen. Während Piktogramme und Hieroglyphen die Welt abbildhaft unmittelbar widerspiegeln, verweisen alphabetische Schriften auf die gesprochene Sprache, die in Begriffen und Namen die Ereignisse der Welt bezeichnen will. Indem das Alphabet Teile des Sprachflusses notiert, hat die Schrift ihren eigenen Bildcharakter, ihre eigene dringliche Gestalt verloren und sich hinter die Mitteilungen der gesprochenen Sprache zurück gezogen.

Eben um den dinglichen Charakter des Zeichens kreist das Schaffen von Janina Kracht. In ihren Materialcollagen bewegt sie sich im Rahmen des traditionellen Tafelbildes. Sie wählt meist quadratische, bisweilen aber auch hochrechteckige Formate. Den Keilrahmen aus Holz umspannt sie aber nicht mit Leinwand, sondern mit transparenten, oder doch zumindest lichtdurchlässigen Folien bzw. mit Gitterwerk verschiedener Dichte und Beschaffenheit. Das Bild gewinnt hierüber eine objekthafte Qualität und verweist auf einen industriell geprägten Zusammenhang, ebenso aber auch auf das Spannungsverhältnis von Natur und Zivilisation. Dem strukturellen Raster werden verschiedene Dinge oder Materialien eingewebt und hinterlegt: Astwerk, Drahtstücke, Blechstreifen, in unregelmäßiger, bewegter Ausrichtung und jeweils verschiedener Länge. Gleichsam zeichnerisch entwickeln sich Linien und Verläufe. Technisch gemachte und pflanzliche Strukturen verweben sich zu einer Textur und binden sich einer neuen Ordnung ein. Im Verhältnis der Formpartikel zueinander, durch Überschneidungen, Leer- und Schnittstellen scheinen sie aufeinander zu reagieren, dialogische Bezüge aufzunehmen, voreinander zurückzuweichen oder sich anzunähern. Drahtgeflecht mit Nylonschnurpartikeln, Spiralen unter Schichten von Plastikfolie erzeugen Tiefe und neue Nuancen. Im Verhältnis von Hell und Dunkel eröffnet sich eine Tiefendimension, wobei mögliche Bilder und Aussagen mit zunehmender Verwobenheit der Schichten weiter entrücken und sich schließlich selbst verschließen. Die Erhabenheit des in eine meditative Haltung einstimmenden Bildes wird allerdings auch durch das gewöhnliche Material ironisiert und profanisiert.

Janina Kracht fügt Relikte zu grafischen Elementen, die sich alphabetischen Schriftzeichen anzugleichen scheinen, vielleicht aber auch hieroglyphischen Bildsymbolen nachempfunden, aber nicht in deren Sinne lesund ausdeutbar sind. Die Materialien sind als Inschriften oder Notationen in das Gitterwerk aus Draht oder das vorgestellte Koordinatensystem eingebracht. Unterschiedliche Artikulationsformen von Schrift und Bild werden anschaulich erfahrbar. Labyrinthisch ineinander wachsende Lineaturen umreißen in ihrer Bewegung vage Ordnungsvorstellungen. Dann sind es haken- oder keilförmige Metallstücke, die in einem energetischen Feld Konstellationen erproben und im Wechselspiel der Kräfte wie zufällig zeichenhafte Strukturen ausbilden. In anderen Fällen vermitteln sich fast malerische Wirkungsweisen, in denen auch verschwommen bildhafte Gestalten konturieren.

In der Ausformung von Schrift- und Bildhaftem scheint die Künstlerin zwar Konventionen und Regelwerke aufzunehmen, doch widersetzen sich ihre offenen Gebilde schließlich der Entschlüsselung. Die Kommunikation von Künstlerin, Betrachter und Bild erfüllt sich nicht in der Vermittlung einer Botschaft. Janinas Kracht untersucht Dinge und Stofflichkeiten auf Spuren vormaliger Bedeutungen, um in diesen möglichst neue Sinnschichten aufzudecken. Indem sie Reste hergestellter Produkte aus ihren Funktionszusammenhängen löst und ästhetisch verfremdet, verändert sie deren Semiotik und erreicht damit eine Irritation, die Aufmerksamkeit für Unbewusstes und Vergessenes schafft. Sie verweist auf Gewesenes ebenso wie auf Mögliches. Im Prozess der Gestaltung und gleichfalls in der Wahrnehmung wird Veränderung zum Bestandteil, aber zur nicht genau vorher bestimmbaren Größe. Fernab vom Gehalt erscheint uns Schrift in Janina Krachts Arbeiten als ein ästhetisches Ornament, das Bedeutungen nahelegt, um sich dann jeder Festschreibung und gesellschaftlichen Übereinkunft zu verweigern. Ihr Misstrauen gegenüber der Abgeschlossenheit und scheinbaren Eindeutigkeit von Wort, Bild und Sprache veranlasst sie dazu, Stofflichkeiten immer nur provisorisch und vorläufig auf die Vorstellung von Form und Gehalt auszurichten. Sie setzt die geschriebene Sprache von der "Grammatik des Gedankens" frei, um die Faszination für die gestischen und grafischen Reize wiederzufinden und den Zusammenhang von Schrift, Bild und Klang aufzuspüren.

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Website von Janina Kracht