Christoph Kivelitz

Friedrich Kracht – Retrospektive

Ausstellung im Kulturmagazin Lothringen / Bochumer Kulturrat e.V. (14. Januar – 10. Februar 2001). Kurator: Christoph Kivelitz.

Friedrich Kracht (1925 Bochum – 2007 Dresden)


Informationstext für die Presse

Das Kulturmagazin stellt in einer Retrospektiv-Ausstellung das Werk des Dresdener Künstlers Friedrich Kracht vor. 1925 in Bochum geboren und dort auch aufgewachsen, wollte er nach dem Krieg zunächst Architektur studieren, nahm dann jedoch ein Studium an der Hans-Tombrock-Schule in Dortmund auf. Fasziniert von der Persönlichkeit Tombrocks, folgte er diesem 1950, nach Schließung der Dortmunder Schule, nach Weimar, um sein Studium schließlich in Dresden zu Ende zu führen. Seit 1953 ist Kracht als freischaffender Künstler in der Elbmetropole ansässig. Obgleich sich die weltpolitische Lage allmählich zum Kalten Krieg zuspitzte, unternahm er in der Zeit von 1954 bis 1960 zahlreiche Studienreisen, unter anderem auf den Balkan, nach Italien, Frankreich, Spanien und Afrika. 1959 wurde er wegen "viermaliger Republikflucht" aus der SED ausgeschlossen. Mit Karl-Heinz Adler trat er 1960 der Genossenschaft ‚Kunst am Bau' bei und fand in der baugebundenen Kunst ein zentrales Tätigkeitsfeld. 1984 beteiligt Kracht sich an der Ausstellung ‚Form, Farbe und Geometrie – Hermann Glöckner zum Geburtstag' in der Neuen Dresdener Galerie am Altmarkt, die eine zumindest partielle Öffnung der DDR-Kunstpolitik signalisierte. Eine erste umfassende Einzelausstellung fand 1993 in der Galerie am Blauen Wunder, Dresden, statt.

Im ersten Teil der Ausstellung wird die Studienzeit bei Hans Tombrock dokumentiert. Grafiken des Begründers der Vagabunden-Bewegung und Zeichnungen aus dem Frühwerk von Friedrich Kracht stehen für die Realismus-Diskussionen, die zum Teil in der Auseinandersetzung mit Bert Brecht, erst im Umfeld der Tombrock-Schule, dann auch in der sich formierenden DDR kontrovers ausgetragen wurden. An der Hochschule für Bildende Kunst in Weimar begegnete Kracht der Gedankenwelt des Bauhauses, die hier noch als Nachhall spürbar war, wenn sie auch allmählich durch das Dogma des Sozialistischen Realismus überlagert wurde.

In Opposition hierzu hat Kracht nach Abschluss seines Studiums einen Bruch mit seiner bisherigen Entwicklung vollzogen, indem er eine der konkreten Kunst nahestehende Formensprache entwickelt hat. Im Zentrum des zweiten Ausstellungsteils stehen serielle Systeme, die der Künstler seit 1968 parallel zu Entwürfen für den öffentlichen Raum und für den architektonischen Zusammenhang in graphischen Blättern und Bildfolgen umgesetzt hat. Den Ausgangspunkt bilden, als Grundelemente der Verständigung in Schrift oder Bild, Linienkürzel, die zunächst zu Einzelzeichen monumentalisiert, später in strukturellen Ordnungen einer dynamischen Veränderung unterworfen werden. In den 1980er Jahren fokussiert Kracht wieder die Einzelform, die nun allerdings eine fast körperhafte Dimension gewinnt. Die Formfindungen sind geprägt durch das Gegen- und Ineinander von Richtungsverläufen und reinbunter Farben, die flächen- und raumgliedernd Seherfahrungen bestätigen und erweitern, im Wechsel der Perspektive aber auch herkömmliche Sehgewohnheiten irritieren. Im Vordergrund der Serie der Raumknoten und Durchdringungen steht die Auseinandersetzung mit mathematischen und optischen Problemen. Hierbei verfolgt der Künstler immer von neuem das Ziel, sich absoluten Wahrheitsansprüchen entgegenzustellen und im Spiel der Variationen und Verschiebungen für sich selbst wie auch für den Betrachter Offenheit im Sehen, Denken und Handeln einzufordern.

 

Text im Katalog 'Friedrich Kracht – Retrospektive'

Konkrete Kunst

Die Konkrete Kunst hat eine Sprache entwickelt, die problemlos über Grenzen kommunizieren lässt, sie war von Beginn an international und mit moralisch-ethischen Postulaten verknüpft. Die Avantgarde aus dem Umfeld des Bauhauses, des sowjetischen Konstruktivismus oder auch der niederländischen de-Stijl-Gruppe zielte auf soziale Wirksamkeit ab. Über neue Wege künstlerischen Schaffens sollten Wahrnehmung und Bewusstsein von traditionellen Gebundenheiten befreit werden, um den Weg in eine geläuterte Zukunft zu weisen. Indem die Barrieren zwischen öffentlichem und privaten Raum, zwischen angewandter und freier Kunst in einer allumfassenden Gestaltung aufgehoben wurden, sollte eine harmonisch gefügte und geordnete Gesellschaft ausgebildet werden.

Dementsprechend sind die Arbeiten der in diesem Anspruch geeinten Künstler Ausdruck von vermeintlich universalen Gesetzlichkeiten, von Maß, Rhythmus und Harmonie. Eine bis heute gültige Definition der Konkreten Kunst gab der Schweizer Künstler Max Bill: konkrete kunst nennen wir jene kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen gesetzmäßigkeiten – ohne äußerliche anlehnung an naturerscheinungen oder deren transformierung, also nicht durch abstraktion entstanden sind […] konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem maß und gesetz. sie ordnet systeme und gibt mit künstlerischen mitteln diesen ordnungen das leben. sie ist real und geistig, unnaturalistisch doch naturnah […] sie drängt das individualistische zurück zugunsten des Individuums.

Der konstruktiv-konkreten Kunst kam in der DDR nur eine Nebenrolle zu. Der V. Parteitag der SED im Jahr 1958 hatte den Führungsanspruch der Partei auch auf kulturellem Gebiet nochmals unterstrichen und gleichzeitig endgültig verfestigt. Um die Einheit der Kultur zu erzwingen, sollten Künstler mit der werktätigen Bevölkerung zusammenleben und arbeiten, ebenso aber auch "aktive Kräfte aus der Arbeiterklasse als schöpferische Mitwirkende der sozialistischen Kultur" gewonnen werden. Unter dem Etikett "Bitterfelder Weg" wurden neue Formen der künstlerischen Organisation entwickelt.

Obgleich die Formalismusdebatten schon seit 1948 in mehreren Schüben ausgetragen und zunehmend politisiert wurden, finden sich in der DDR kontinuierlich einige wenige Künstler, die die Traditionslinie der konstruktiv-konkreten Kunst aufnehmen und weiterzuentwickeln suchen. Den Anfang zu einer schrittweisen Öffnung und Ausweitung des zunächst eng gefassten Konzepts eines "Sozialistischen Realismus" signalisierte die Publikation einer ersten Bauhaus-Monographie von Lothar Lang im Jahr 1967. Es folgte eine Biographie von El Lissitzky im Jahr 1967. Damit war der Aufnahme der proletarisch-revolutionären Aspekte des Konstruktivismus auch seitens der Künstler in der DDR der Weg bereitet, wenn es auch in der Folge immer wieder zu teils heftigen Verbalattacken und Diskriminierungen kommen sollte.

Als bekanntester Vertreter der konkreten Kunst in der DDR gilt Hermann Glöckner, der nicht nur in der BRD, sondern seit den 1970er Jahren allmählich auch in der DDR einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte. 1969 erfolgte so etwa eine erste Ausstellung seines Tafelwerks im Dresdener Kupferstichkabinett. Das Prinzip einer seriellen Gestaltung, so wie es von Glöckner exemplarisch und in beharrlicher Konsequenz entwickelt worden ist, wurde prägend für einen sich um ihn zusammenfindenden Dresdener Künstlerkreis. Hierzu gehören neben Friedrich Kracht Karl- Heinz Adler, Peter Albert, Wolfgang Bosse, Bernd Hahn, Günther Hornig, Manfred Luther, Wilhelm Müller, Inge Thiess-Böttner, Frank Voigt und Wolff-Ulrich Weder. Da parallele Entwicklungen im westlichen Europa bestenfalls aus Zeitschriften und älteren Büchern bekannt sein konnten, waren Kontakte insbesondere nach Polen von entscheidender Bedeutung. Hier wurden nicht nur Anknüpfungspunkte zu den mittlerweile historischen Avantgarde-Bewegungen gefunden, sondern auch eine Möglichkeit, aus der Abgeschlossenheit der DDR-Kultur auszubrechen und einen internationalen Dialog aufzunehmen. Im Zeichen der schon in den 1970er Jahren eingeleiteten "Weite und Vielfalt" der Kunst in der DDR wurden in den 1980er Jahren schließlich auch Bemühungen unternommen, der konstruktiv-konkreten Kunst einen künstlerischen Wert beizumessen.

Das Kulturmagazin stellt in einer Retrospektiv-Ausstellung das Werk des Dresdener Künstlers Friedrich Kracht vor. 1925 in Bochum geboren und dort auch aufgewachsen, wollte er nach dem Krieg zunächst Architektur studieren, nahm dann jedoch ein Studium an der Hans-Tombrock-Schule in Dortmund auf. Fasziniert von der Persönlichkeit Tombrocks, folgte er diesem 1950, nach Schließung der Dortmunder Schule, nach Weimar, um sein Studium schließlich in Dresden zu Ende zu führen. Seit 1953 ist Kracht als freischaffender Künstler in der Elbmetropole ansässig. Obgleich sich die weltpolitische Lage allmählich zum Kalten Krieg zuspitzte, unternahm er in der Zeit von 1954 bis 1960 zahlreiche Studienreisen, unter anderem auf den Balkan, nach Italien, Frankreich, Spanien und Afrika. 1959 wurde er wegen "viermaliger Republikflucht" aus der SED ausgeschlossen. Mit Karl-Heinz Adler trat er 1960 der Genossenschaft ‚Kunst am Bau' bei und fand in der baugebundenen Kunst ein zentrales Tätigkeitsfeld. 1984 beteiligt Kracht sich an der Ausstellung ‚Form, Farbe und Geometrie – Hermann Glöckner zum Geburtstag' in der Neuen Dresdener Galerie am Altmarkt, die eine zumindest partielle Öffnung der DDR-Kunstpolitik signalisierte. Eine erste umfassende Einzelausstellung fand 1993 in der Galerie am Blauen Wunder, Dresden, statt.

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