Christoph Kivelitz

Gordan Nikolić – Barbieland

Malerei, Aquarelle und Zeichnungen

Gordan Nikolic, 2006Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V., 12. Mai – 30. Juni 2006.
Kuratiert von Christoph Kivelitz.

 

Katalogaufsatz (Anfang):

"Barbieland ist abgebrannt ..."

Die Bilder von Gordan Nikolić sind in jedem Fall als obszön zu bezeichnen. Im Zentrum steht jeweils eine weibliche Aktfigur, die in ihrer aufreizenden Haltung beim Betrachter Widerwillen provoziert. Damit kontrastiert die Buntfarbigkeit, die, einem Comic ähnlich, eine Atmosphäre von Märchenhaftigkeit und zunächst positive Empfindungen herbeiführt. Doch in dieser fröhlich grellen Zauberwelt offenbaren sich derbe Brüche. Die Körper der dargestellten Frauen übersteigern den gewohnten Kanon vollendeter und durchgeistigter Schönheit, so wie er im Topos der Venus sich verkörpert hat. Es sind anzügliche Posen der tabulosen Prostitution. Hemmungslos, unbedingt provozierend wird Körperlichkeit zur Schau gestellt. Das Fleischliche wird hierbei durch die in sich aufgebrochene Farbfaktur geradezu sinnlich erfahrbar. Doch dabei ist die Haut der weiblichen Gestalten nicht als homogene Oberfläche dargestellt, sie scheint vielmehr wie aufgerissen zu sein. Die Leiblichkeit erscheint in einem Zustand der Auflösung und Zersetzung. Es vermittelt sich geradezu der Eindruck einer Häutung, so dass die Aktfigur sich in einem Zustand des Morbiden, zwischen Leben und Tod, Trance und Bewusstsein zu bewegen bzw. zu erstarren scheint, fast "zombiehaft" in einen geschundenen Körper eingeschlossen. Das Umfeld dieser "Wesen" ist jeweils überschön. Gordan Nikolić entwirft ein "Heile-Welt"-Panorama mit romantischen Hochgebirgsebenen, Wiesen und Feldern, Gehöften und Waldlichtungen.

Das Bild Im Wäldchen zeigt etwa in sommerlicher Stimmung ein lichtdurchflutetes Waldidyll, dessen Geborgenheit sich in einem pittoresken Fachwerkhäuschen symbolisch verdichtet. Zwei am Bildrand grellrot aufleuchtende, noch dazu übergroße Fliegenpilze irritieren dann jedoch diese Empfindung von Sicherheit und Harmonie. Ein radikaler Bruch dieser Stimmung figuriert sich in der entblößten Frauengestalt, die diagonal, wie schwebend, in das Bild eingeschoben ist. Die sich zersetzende Haut löst den Körper in ein amorphes Gebilde auf. In einer alptraumhaften Angstvision personifiziert sich hier die bedrohliche Prophetie eines nicht konkret zu bestimmenden Geschehens. Das hinter der Lichtung liegende Häuschen mag der Ort sein, an dem dieser Schrecken sich vollziehen wird bzw. bereits vollzogen hat. Die zeitliche Dimension bleibt offen. Der Titel des Bildes vergegenwärtigt den historischen Bezug dieses Motivs. So bezeichnet der eigentlich positiv konnotierte Begriff des Wäldchens euphemistisch das Warten auf die Ermordung im nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz: "Die Auskleideräume der Krematorien IV und V waren nicht groß genug, um die Massen ungarischer Juden aufzunehmen, die im Frühjahr 1944 in Auschwitz eintrafen. So mußten die Juden warten, bis sie die Auskleideräume betreten konnten. Sie warteten im allgemeinen in einem Wäldchen hinter Krematorium IV. Man sagte den Juden, sie sollten sich zwischen den Bäumen niederlassen, sich ‚ausruhen' und weitere Befehle abwarten." So verkörpert sich in der entblößten Frauengestalt, bewusst clichéhaft verzeichnet, das Bild des Opfers, das die Unausweichlichkeit des Todes wie apathisch hinzunehmen scheint. Der Kontext des romantisch gestimmten Landschaftsbildes steht für die "Normalität", innerhalb derer dieser millionenfache Massenmord in technokratischer Gründlichkeit abgewickelt wurde.

Nach Adorno lassen sich für die Grausamkeit der Shoah weder Worte noch Bilder finden. Gordan Nikolić geht einige Umwege, um dem Wissen über diese Verbrechen, die sich jeder Beschreibung und Erklärung entziehen, Ausdruck zu verleihen. Die wohl geordnete, vermeintlich heile Welt der Märchen schafft einen vertrauten und versöhnlichen Kontext, in dem Gut und Böse klar voneinander differenziert sind. Das Märchen bewahrt Erotik, Macht und Gewalt in sublimierter Fom in sich auf. Wie in einem Spiegelbild scheint historisch Erlebtes und Erlittenes sich hier zu brechen, um den nachfolgenden Generationen in der Erzählung tradiert und gleichzeitig in die Dimension des Übernatürlichen, des Nicht-Wirklichen verschoben zu werden. Gordan Nikolić greift diesen Topos auf. Doch durch die jeweils eingebrachte Aktfigur und die ihr zugeordneten Gestalten und Dinge entwirft er ein Gewaltszenarium, das den Rahmen dieser traditionellen Erzählform bis zum Extrem ausreizt. Das Bild des geschundenen Körpers drängt die Erinnerung aus dem Bereich des Legendären wieder zurück in die unmittelbare Lebenswirklichkeit, um sich dort in seiner Unerträglichkeit zu manifestieren. So ist es letztlich die Nicht-Darstellbarkeit dieser historischen Tatsachen, die hier zur Anschauung gebracht wird.

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- Bilder aus der Ausstellung

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