Christoph Kivelitz

Karl Schwesig – Ein Künstler im Zeugenstand

Ausstellung im Bochumer Kulturrat e.V. im Rahmen des Projekts 'Schule und Kultur gegen Rechts' (12.8. – 1.9. 2001).
Kurator: Christoph Kivelitz.

Karl Schwesig (1898 Gelsenkirchen – 1955 Düsseldorf)


Informationstext zur Auslage in der Ausstellung

Karl Schwesig wurde als Sohn eines Bergmanns 1898 in Gelsenkirchen geboren. Mit zwei Jahren erkrankte er an Rachitis, von der er eine Rückgratverkrümmung und eine Wachstumshemmung zurückbehielt. Von 1916–18 leistete der Kleinwüchsige (1,39 m) Kriegsdienst als Schreiber im Büro eines Bergwerks. Nach Kriegsende besuchte er die Düsseldorfer Akademie, von der er sich 1921 abkehrte und sich dem avantgardistischen 'Jungen Rheinland' anschloss und Mitglied des Künstlerkreises um Johanna Ey wurde. Teilnahme an diversen Ausstellungen und Mitbegründung der politisch-satirischen Zeitschrift 'Die Peitsche' (1924) und der 'Rheinischen Sezession' (1928) folgen. Im Juli 1933 beginnt sein Leidensweg unter dem Naziregime mit seiner Verhaftung. Folgende Passionsstationen kennzeichnen sein weiteres Leben und Wirken:

Karl Schwesig starb, exakt an seinem Geburtstag, am 19.06.1955 in Düsseldorf. Das Frühwerk des Künstlers ist geprägt von der Infragestellung des akademischen Regelwerks wie vom Drang zu Erneuerung. In frei assoziierenden, ironischen Montagen sprengt er die traditionelle Einheit und Gleichzeitigkeit von Ort, Zeit und Raum auf, verschachtelte Bildentwürfe lassen die Wirklichkeit in ihrer Vieldimensionalität greifbar werden. Wie viele seiner Künstlerkollegen zu Beginn der 20er Jahre zielt er auf die Verbindung von Kunst und Politik, engagiert für die neue Zeit, den Sozialismus. Die Zeitschrift 'Die Peitsche' richtet sich dementsprechend gegen Klassenjustiz und Militarismus wie auch gegen den aufkommenden Nationalsozialismus.

Zu den bekannten Zyklen Schwesigs, die auch im Kulturmagazin zur Ausstellung kommen, gehören die 'Schlegelkeller'-Zeichnungen von 1935/36 und 'Les Inutiles' (Radierungen, nach 1945). Die 'Schlegelkeller'- Zeichnungen basieren auf den Folter- und Terrorfahndungen in Düsseldorf und sind als in sich abgeschlossener Bildbericht mit 'Vorwort' und 'Nachwort' konzipiert. Repräsentanten des staatlichen Terrors werden den Opfern mit kargen Linienkürzeln an Schauplätzen von alptraumhafter Qualität gegenübergestellt. In der Folge kommentiert Schwesig das politische Geschehen mit Karikaturen von Nazi-Größen, mit Blättern zu politischen und militärischen Prozessen (Überfall auf Polen), Beiträgen zu Zeitschriften, Wandbildern für Massenmeetings gegen den Faschismus, Plakaten und Transparenten. Seine Kunst ist ihm Waffe, auch im Exil in Belgien, er ist Zeitgenosse mit dem unbedingten Willen zur Zeugenschaft voller Solidarität mit den Unterdrückten. In dem Versuch, angreifend auf die Realität einzuwirken, schafft er ein sachliches, zugespitzt-übersteigertes Bild der Wirklichkeit.

Mit der Radierfolge "Les Inutiles" reagiert er auf die Erfahrungen in den französischen Internierungslagern, in die man zunächst geflüchtete Mitglieder der geschlagenen Anti-Franco-Brigaden gepfercht hatte. Trostlosigkeit, Verlassenheit, Verstümmelung und Schmerz sind hier die tragenden Inhalte. Verkrüppelung wird zur Metapher für eine Zeit, in der der Kampf für eine bessere, neue Zeit aussichtslos geworden ist.

Die 'Schlegelkeller'-Zeichnungen

Am 11. Juli 1933 wurde Karl Schwesig durch eine SA-Gruppe in den sogenannten 'Schlegelkeller' verschleppt. Im Jahr 1935, noch in Düsseldorf, nahm Schwesig die Arbeit an einer Serie von 48 Zeichnungen auf, die er nach seiner Emigration nach Antwerpen vollendete. Die Originalzeichnungen sind in Moskau verschollen, von 46 Blättern existieren gute Originalfotos. Die Zeichnungen wurden von Schwesig selbst als 'Schlegelkeller'- Zeichnungen bezeichnet, obwohl sie seine Erlebnisse im Schlegelkeller, dem Folterkeller der SA (Keller der Schlegelbrauerei in der Bismarckstraße, Ecke Oststraße), die Haftzeit im Polizeipräsidium, die Untersuchungshaft im Gefängnis 'Ulmer Höhe', den Hochverratsprozess und die Strafverbüßung im Gefängnis Wuppertal-Bendahl umfassen. Der Name rechtfertigt sich durch die entsetzlichen Erlebnisse im Schlegelkeller, die alles weitere weniger furchtbar erscheinen ließen.

Die "Schlegelkeller-Zeichnungen" sind als in sich abgeschlossener Bildbericht mit "Vorwort" und "Nachwort" konzipiert. Die drei ersten Blätter zeigen die Repräsentanten des staatlichen Terrors: von Hitler über Himmler bis zum namenlosen Vollstrecker in SA-Uniform, dessen 'Porträt' vor eine Gefängniswand gesetzt ist. Das 'Nachwort' führt in zwei Zeichnungen die unmittelbare Verbindung zwischen den gefolterten Gefangenen und der Regierungsspitze vor Augen. Im letzten Blatt verkündet Goebbels, im Kreise von Hitler, Himmler und Göring, über einem ermordeten Opfer: "Die nationalsozialistische Revolution war die unblutigste der Weltgeschichte."

Schwesig hat immer wieder versucht, die Zeichnungen in Buchform zu publizieren; die Projekte zerschlugen sich aus politischen und/oder finanziellen Gründen. Für die Veröffentlichung verfasste Schwesig Bildtitel, die in Kurzform das jeweilige Erlebnis nacherzählen. Außerdem hatte Heinrich Mann ein Vorwort für das geplante Buch geschrieben.

Vor einem diffusen schwarzen Grund sind die Ereignisse dramatisch in Szene gesetzt. Das räumliche Ambiente ist nur durch wenige Linienkürzel skizziert. Ein spotartiges Licht lässt die Akteure wie auch das Opfer aus dem Dunkel hervortreten, vermittelt dem Schauplatz zudem eine alptraumhafte Qualität. Die SA-Schergen und Gefängniswärter umzingeln den Häftling, der wehr- und kraftlos deren Folterungen über sich ergehen lassen muss. Im Schlaglicht sind Täter und Opfer klar voneinander differenziert. Die Motivation zur Serie erhielt Schwesig durch die sadistische Aufforderung des Sturmführers Winter im Schlegelkeller, er solle sich den blutigen Rücken eines Ausgepeitschten genau ansehen: "Muß 's dir genau ansehen, dass du später mal ein schönes Gräuelmärchen malen kannst". Diesen zynischen Appell griff Schwesig wortwörtlich auf. Aufgrund seiner künstlerischen Fertigkeiten fühlte er sich dazu verpflichtet, einen historischen Tatbestand ins Licht der Weltöffentlichkeit zu rücken und damit dem Drang, zu vergessen und zu verdrängen, als Zeuge entgegenzuwirken.



Christoph Kivelitz - Einführungsrede (12.08.2001):

Karl Schwesig – Ein Künstler im Zeugenstand

Die Zeit des Nationalsozialismus erscheint im Rückblick wie ein Aussetzer der Geschichte. Sie ist anwesend und zugleich vorbei. Die Geschichte des Nationalsozialismus wird zumindest von wissenschaftlicher Seite nicht mehr unbedingt verdrängt, aber im kollektiven Bewusstsein verkümmert sie doch vielfach zur Pflichtlektion. Vielleicht macht es Sinn, eine Anregung von Saul Friedländer aufzugreifen und den Faschismus auf zweierlei Weise anzuschauen. Einmal erscheint er als bislang einmalige Explosion von Terror in der Zeit von 1933–1945, zum anderen als "Heilsversprechen", als ein ganz normales Problem der Organisation des Lebens in einer bürgerlichen Gesellschaft. Da ist er selbstverständliche Gegenwart, Element der Alltagskultur, Einsprengsel in den verzweigten Strukturen autoritären, patriarchalischen, technokratischen Denkens und Handelns. Saul Friedländer sieht den Nationalsozialismus zwar als ein Phänomen der Vergangenheit, doch die Obsession, mit der er sich der gegenwärtigen Phantasie aufdrängt, und das Hervortreten des Diskurses, der nicht aufhört, ihn nachzugestalten und neu zu interpretieren, stellen wir uns die Grundfrage, wie dieses Starren auf die deutsche Vergangenheit zu bewerten ist: als nostalgische Träumerei, als Gier nach Spektakulärem, als notwendiger Exorzismus und / oder anhaltendes Bemühen um Verständnis? Es erhebt sich der Verdacht auf Selbstgefälligkeit und Sympathie für das Dargestellte. Eine Grenze ist überschritten worden, und ein Gefühl von Unbehagen kommt auf. Offenbar fehlt den Deutschen ein "Fernverständnis" der eigenen Geschichte, um hier einen Begriff von Karl-Heinz Bohrer aufzugreifen. Fernverhältnis zu Geschichte meint nicht Verdrängung, versteht sich vielmehr als Voraussetzung dazu, Vergangenes ins Gedächtnis zu rufen und im Sinne der Zukunftsgestaltung aufzuarbeiten. Gefordert ist ein objektivierender Zugang über Dokumente und subjektive Erfahrungsschilderungen, deren Zeitzeugenschaft oben genannte Fehlentwicklungen vermeiden lässt.

Der Schrecken des Holocaust und des physischen und psychischen Terrors in den NS-Vernichtungslagern wirft zwangsläufig die Frage auf, ob es überhaupt möglich und nicht grundsätzlich verfehlt ist, diese im künstlerischen Medium darzustellen und zu vergegenwärtigen. Theodor W. Adornos Diktum: "Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch" verführt nur zu leicht zu dem Missverständnis, ein solches Unterfangen sei von vornherein zurückzuweisen und letztlich zum Scheitern verdammt. Adorno zielt mit seiner These jedoch nicht auf ein generelles Bilder- oder Schreibverbot, vielmehr auf das Bewusstsein einer unüberbrückbaren Kluft, die sich durch den Zivilisationsbruch von Auschwitz aufgetan habe.

Nur wenige Künstler brachten den Mut auf, ihre Erfahrungen in Bilder zu übersetzen und ihre Fertigkeiten so in den Dienst einer unmittelbaren Zeitzeugenschaft zu stellen. Die Schwierigkeit der Rezeption liegt in der Sprachlosigkeit jeder kunstkritischen und kunsthistorischen Deutung angesichts der Situationen, in denen Künstler wie Felix Nussbaum, Lea Grundig, Paul Celan, Zoran Music und eben auch Karl Schwesig durch die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse hineingestoßen waren und in denen sie sich nicht mehr auf ikonographische Traditionen, etwa die Darstellung des Krieges, von Flucht und Vertreibung, verlassen konnten. Die genannten Künstler standen vor der Aufgabe, in der Auseinandersetzung mit ihrer Situation, die sie in ihrer Kunst dokumentieren wollten, neue Bildformen zu erfinden oder überlieferte Gestaltungswege neu zu deuten. Das dadurch ausgelöste Unverständnis spricht sich bis heute als Kritik an der "Unangemessenheit" ihrer Bildersprache aus.

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