Christoph Kivelitz

Ulrike Stockhaus – between

Ausstellung im Kunstverein Bochumer Kulturrat, 27. Juni – 26. Juli 2009. Kuratiert von Christoph Kivelitz.

 

Einführungsrede zur Eröffnung der Ausstellung

Das Reh ist ein eher scheues Wesen, das abgeschieden vom Menschen in Wäldern und auf Feldern lebt. Es ist ein Fluchttier, das der Begegnung mit dem Menschen aus dem Weg geht. Es gilt als zerbrechlich, zart, als Inbegriff einer zu beschützenden und bewahrenden Natur, die sich doch dem menschlichen Zugriff entzieht. Auf der anderen Seite wird das Reh gejagt, um den Bestand einzugrenzen. In Japan, hierbei insbesondere in der Stadt Nara kommt dem Reh ein ganz anderer Stellenwert zu. In einem Japan-Almanach ist etwa zu lesen: Rehe. Überall. Die Viecher sind in Nara omnipräsent - in den Parks, in den Tempelanlagen, vor Fußgängerampeln, wartend darauf, dass ein Nicht-Paarhufer den Knopf an der Ampel drückt usw. Sie sind quasi heilig (der Legende nach kam die Kriegsgottheit Takemikazuchi auf einem Reh nach Nara, um die neue Hauptstadt zu schützen) und dürfen sich frei bewegen. An Menschen haben sie sich lange gewöhnt und sind kein bisschen scheu.

Rehe kamen als Begleittier der Kriegsgottheit Takemikazuchi in die Stadt, um dort zu bleiben und einen gleichsam kultischen Status in Anspruch zu nehmen – gehegt und gepflegt von den Menschen zum Schutze der Stadt. Auf ihrer Videoarbeit zeigt Ulrike Stockhaus ein Reh, vollkommen gleichmütig da liegend in der pulsierenden Menschenmenge, von einigen gestreichelt oder gefüttert, doch ganz selbstverständlich hingenommen. In seiner Ruhe und Gelassenheit scheint es eine vom Alltagsgeschehen abgehobene Dimension von Realität in sich zu verkörpern. Im Rückbezug auf die Ursprungslegende der Stadt Nara steht es für deren Verbindung mit einer spirituellen Ebene von Wirklichkeit, die über die in die Stadt gekommenen Rehe in der Gegenwart fortbesteht, das profane Leben durchzieht. Es treffen hier zwei Realitätsaspekte aufeinander, die grundsätzlich verschieden, doch auch untrennbar ineinander verwoben sind.

Das Material zu ihrer Ausstellung 'between' bezieht Ulrike Stockhaus weitestgehend aus filmischen und fotografischen Arbeiten, die im vergangenen Jahr auf einer Japanreise entstanden sind. Die Ausstellung dokumentiert die während des Aufenthalts gewonnenen Anregungen und die hierdurch ausgelöste Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität. Einen besonderen Schwerpunkt bildet so auch eine Gruppe von Selbstporträts. Im Zentrum steht hier das Video "between" im Treppenabgang Richtung Kellergeschoss. Durch Montage zweier Filmsequenzen konstruiert bzw. dekonstruiert Ulrike Stockhaus das Bild des Körpers als in sich abgeschlossene Entität. In der leicht zittrigen Ästhetik eines Stummfilmklassikers, in Slapstick-Manier, zeigt die Künstlerin sich selbst bei einer Sprungbewegung. In einem perpetuum mobile ist sie dabei in dem Versuch eingeschlossen, die auseinander driftenden Bewegungen der Füße und des Torso zusammen zu führen und so das Verschmelzen der disparat agierenden Teile herbei zu führen. Das Aufeinanderzu bzw. Voneinanderweg der kontinuierlich bewegten Körperpartien signalisiert das Streben, mit sich selbst eins zu werden, sich als "Individuum" zu konstituieren, divergierende Kräfte und Spannungen, die das eigene Ich bestimmen, zum Einen voller Energie auszuleben, zum Anderen aber auch in einem möglichen Ausgleich auszubalancieren. Ein weiteres Selbstporträt begegnet im Hauptausstellungsraum in Gestalt einer mit Spiegelfolie überzogenen Fotografie. Das Antlitz der Künstlerin erscheint diffus verschwommen hinter einer das Bildnis des Betrachters selbst aufnehmenden Folie, so dass Selbst- und Fremdbild in ständig wechselnden Konstellationen miteinander verschmelzen bzw. taumelnd umeinander zu tanzen scheinen. Beide Ansichten lösen sich ständig wieder auf, um sich neu zu konstituieren und in einem Schwebezustand von An- und Abwesenheit ein dialogisches Kräfteverhältnis zu inszenieren.

(...)

link Den vollständigen Text als PDF herunterladen

- Einladung zur Ausstellung (PDF)

- Website von Ulrike Stockhaus