Christoph Kivelitz

Zhong Biao

Text im Katalog: Zhong Biao, The Position of Zhong Biao, Hrsg. Galerie Frank Schlag & Cie., Essen 2008.

Der Mensch und seine Lebenswelt in einer dynamischen gesellschaftlichen Entwicklung – in diesem komplexen Themenfeld findet Zhong Biao den Gegenstand seiner künstlerischen Arbeit. Dabei unternimmt er nicht den Versuch, seine Gegenwart in bestimmten, vermeintlich typischen Augenblicken abbildhaft nachzuzeichnen. Er geht von Bildern aus, die ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang entnommen und durch neue Konstellationen verfremdet werden. Ausgangspunkt ist die Auseinandersetzung mit Motiven ganz unterschiedlicher Herkunft, Semantik und Funktionsweise. Zhong Biao verbindet Szenen aus dem modernen Leben mit historischen Fragmenten. Er führt östliche und westliche Bezüge kontrastierend zusammen. Nach eigenem Bekunden erscheint dem Künstler das Heute als Summe alles Gestrigen, dem immer auch eine zukünftige Perspektive eingeschrieben ist. Die Kompositionen verstehen sich folglich als Momentaufnahmen im Rahmen einer Recherche über die Beziehungen zwischen Bildern verschiedenen Ursprungs. Es gilt gerade die Unangemessenheit, das Unpassende, nicht Homogene dieser verschiedenen visuellen Codes zur Anschauung zu bringen. Thema wird das Neben- und Ineinander nicht zu versöhnender Realitäts- und Anschauungsebenen.

Aktuell gibt es wohl kaum ein Land der Erde, in dem im Zuge einer rasanten ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung die Kontraste derart krass aufeinander prallen wie in der Volksrepublik China. Zu Teilen noch vollkommen agrarisch und durch die Mechanismen des Staatssozialismus geprägt, durchlebt die chinesische Gesellschaft aktuell eine beschleunigte Modernisierung, die in gewaltigen Stadterweiterungen und gigantischen technologischen Entwicklungsschüben sichtbar wird. Dabei werden permanent Impulse der westlichen Kultur aufgenommen, kopiert und in die eigenen kulturellen Schemata inkorporiert. Es vollzieht sich ein von außen kaum noch zu verfolgender Aufnahme-, Verwertungs- und Verarbeitungsprozess. Die fortwährende Veränderung und Erneuerung über Jahrhunderte gewachsener Strukturen produziert zwangsläufig Gegensätze, die sich kaum noch fassen und in traditionellen Bildformeln zum Ausdruck bringen lassen. Die Ästhetik der politischen Agitation, der traditionellen Kultur und der durch westliche Einflüsse geprägten zeitgenössischen Kunst und Massenmedien koexistieren, ohne die Perspektive einer Versöhnung und Verschmelzung anzuzeigen.

Zhong Biao findet in seinen Bildern eine Methode, diese Gegensätze darzustellen, ohne die damit verbundenen Diskontinuitäten auszulöschen. Er stellt sie dar und erhebt die a-logischen Verknüpfungen zum Thema seiner Bilderzählung. Hierzu greift der Künstler unterschiedliche Realitätsebenen auf, die verschiedene Raum-Zeit-Strukturen vor Augen führen. Deren Wiederholung und Überlagerung vermittelt die Erfahrung einer der Methodik des Films vergleichbaren Verschränkung von Augenblicken und räumlichen Situationen. Zhong Biao will nicht die Bedeutung der Bildzeichen und Symbole aufgreifen, sondern den Wandel der Bedeutungen durch den jeweils herbei zitierten Bildkontext anschaulich werden lassen. Gerade die Motive, die der Alltagswirklichkeit besonders nahe stehen, werden von der Farbe befreit und aus jedem gewohnten Wahrnehmungsbezug herausgestellt. Historische Referenzen werden demgegenüber farblich neu definiert. Indem die Farben der Gegenwart verblassen, während Aspekte des Vergangenen sich einer zeitgenössischen Pop-Ästhetik anverwandeln, wird die Grenze zwischen Realität und Erinnerung, Fiktion und Traum bis zur Unkenntlichkeit verschliffen. Es setzt ein Moment des Illusorischen ein. Als Ergebnis dieser Transformationen stellt sich fast zwangsläufig Zweifel an dem eigenen Wissen über Geschichte und Gegenwart ein.

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