Christoph Kivelitz

Zwischen Bauhaus und Bitterfeld. Zur Rezeption und Nachwirkung des Bauhauses in der DDR

Vortrag von Dr. Christoph Kivelitz am 4. Februar 2001
Begleitprogramm zur Ausstellung Friedrich Kracht – Retrospektive


1. Diskussion: Umgang mit der Kunst der DDR

Ein umstrittenes Diskussionsfeld eröffnet immer noch die Fragestellung, wie die im System der DDR entstandene Kunst im Rahmen der allgemeinen westlichen Kunstentwicklung zu werten ist und wie mit ihr umzugehen ist. Soll sie – wie auch die Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus – gewissermaßen als "Gefahrengut" in Archive und Depots verbannt oder doch zumindest in historischen Museen aufgearbeitet, vielleicht aber auch in die Sammlungen der Kunst des 20. Jahrhunderts einbezogen werden? Doch welche Kriterien können bei der Auswahl zur Anwendung kommen? Lässt sich DDR-Kunst mit westlichen Qualitätsmaßstäben überhaupt beschreiben und erfassen? Festzuhalten bleibt, dass diese Auseinandersetzung nicht hinreichend stattgefunden hat. Mit dem Niedergang der osteuropäischen sozialistischen Gesellschaften hat zwar der Kalte Krieg ein Ende gefunden, doch verblasst sind damit nicht die Diskurse, die sich in dieser ideologisch zugespitzten Situation ausgeprägt haben. Belege hierfür sind zum einen, dass das Institut für Kunst der DDR der Sammlung Ludwig im Schloss Oberhausen nach der Wiedervereinigung kurzerhand geschlossen wurde, des weiteren die Konzeption der Weimarer Ausstellung 'Aufstieg und Fall der DDR im Jahre 1999'. Die offiziellen Vertreter der DDR-Kunst sahen sich hier wie in einer Propaganda- oder Trophäenschau offensichtlich an den Pranger gestellt. Die Inszenierung suggerierte die Gleichsetzung mit der Kunst des Nationalsozialismus, um damit auch das System der DDR undifferenziert als "totalitär" einzustufen. Weitgehend unbeachtet bleibt hierbei, dass in der DDR ein außerordentlich komplexer, sehr lebendiger und vielschichtiger Diskurs über Fragen der kulturellen Entwicklung geführt wurde. In der Konzeption des Sozialistischen Realismus wurde darauf abgehoben, Kunst und Kultur im Alltag des werktätigen Menschen zu verwurzeln und als organischen Bestandteil in das Volksleben einzubinden. Das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit wurde als ein dynamisches begriffen, wobei insbesondere auch Fragen nach der Funktion von Kunst in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft aufgeworfen wurden. Der sozialistische Realismus wurde verstanden als ein wesentlicher Beitrag zur "Selbstverständigung des Volkes über seine Leistungen, seine Aufgaben und seine Probleme." Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung mit Geschichte aus marxistisch-leninistischer Perspektive, so wie es Brecht tat mit den 'Fragen eines lesenden Arbeiters': "Wer baute das siebentorige Theben?..." Dem Künstler war anheim gestellt, die Geschichte aufzubrechen, auf die sozialen Triebkräfte hin zu untersuchen und dem Betrachter zu vergegenwärtigen, dass die sich vollziehende sozialistische Revolution nichts anderes sei als das Erheben der Zukunft in eine Potenz der Gegenwart. Das wiederum sollte nicht bedeuten, die Vergangenheit, vor allem aber die Gegenwart im Namen der Zukunft abzuwerten, vielmehr, den Gegenwartswert der Vergangenheit und die Zukunftsträchtigkeit der Gegenwart aufzudecken. "Die geschichtliche Entwicklung verläuft 'dreidimensional', die Gegenwart ist in bestimmter Weise Folge und Ergebnis der Vergangenheit und zugleich Hinweis auf die Zukunft oder, wie Brecht sagt: 'Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen'."

2. Phasen der Bauhaus-Rezeption

Die Rezeption des Bauhauses in der DDR, in der BRD, aber auch in den USA war stets ideologisch behaftet, untrennbar mit der Politik des Kalten Krieges verbunden. In den einzelnen Phasen der Auseinandersetzung spiegeln sich die Standpunkte zu zentralen Fragestellungen der modernen Industriegesellschaften unmittelbar wider. Die Aneignung bzw. Kritik dient dem Entwurf bzw. der Legitimation der je eigenen Identitäten, was nicht zuletzt die Essener Ausstellung 'Bauhaus: Dessau – Chicago – New York' erneut bewiesen hat, war doch hier publikumswirksam der Versuch unternommen, die vertikale Gliederung US-amerikanischer Städte in den architektonischen Visionen der Bauhaus-Protagonisten zu begründen, damit gewissermaßen in eine utopische Dimension zu rücken.

2.1. Die erste Phase der Rezeption: Das Beispiel Mart Stam

Bis zum Jahr 1949 wurde das Bauhaus sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland als leuchtendes Beispiel antifaschistischer Kultur, der deutschen Moderne und des Wiederaufbaus nach dem Krieg gepriesen. Der Verfasser eines 1947 in der ostdeutschen Zeitschrift Forum erschienenen Artikels beschrieb das Bauhaus als wirkliche sozialistische Arbeitsgemeinschaft und Erziehungsstätte im Geiste der Demokratie und des Sozialismus. Wie eine Vielzahl von Intellektuellen meldete sich im selben Jahr der Niederländer Mart Stam, fasziniert durch die Perspektive eines totalen Neuanfangs, direkt im ZK der SED, um seine Bereitschaft zum Einsatz zum Aufbau der Demokratie kundzutun. Als Stam im März 1948 mit seiner jüdischen Frau Olga Hiller schließlich in die SBZ übersiedelte, folgte er der persönlichen Einladung des sächsischen Industrieministers Otto Falkenberg, einen Beitrag zur industriellen Produktion durch Typenmusterentwürfe und Verfahrensentwicklung sowie zur Wiederaufbauplanung in Dresden zu leisten. In Kontakt mit Gerhard Strauss, Referatsleiter für Bildende Kunst bei der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV), entwickelte Stam darüber hinaus eine Organisation zur Reorganisation der Kunsthochschulen, wobei Industrie- und Alltagskultur besonders gefördert werden sollten. In diesem Zusammenhang schlug Strauss vor, Stam als Rektor der zu vereinigenden Akademie der Künste und der Hochschule für Werkkunst in Dresden einzusetzen, damit die Nachfolge von Hans Grundig anzutreten. In dieser Position formuliert Mart Stam die klare Zielsetzung, die Dresdner Kunsthochschulen – an denen es keine Architektenausbildung mehr gab – unter dem Primat der Architektur zu vereinigen. Neuer Name sollte sein: "Bauschule. Freie Hochschule für freie und industrielle Gestaltung". Indem er den vollständigen Umzug nach Hellerau in die Tessenowsche Bildungsanstalt anstrebte, stellte er sich offen gegen die traditionell gefasste Akademie und den Kult des Künstler-Individuums sowie die Tafelmalerei.

Stams Programm fand zu diesem Zeitpunkt die volle Unterstützung der DW und der sowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD) und war sogar in den Zweijahresplan der SBZ integriert. Er stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der örtlichen Künstler, Architekten und SED-Funktionäre der sogenannten Parteigruppe "Weidauer". Als sich der Konflikt weiter zuspitzte, wurde Mart Stam 1950 schließlich als Direktor der Hochschule für angewandte Kunst und des bei ihr aufgrund der Kulturverordnung vom 16. März 1950 gebildeten Instituts für industrielle Gestaltung nach Berlin-Weißensee versetzt. Als Beirat stand der dem Ministerium für Leichtindustrie und den Kommissionen für die Auswahl von Modellen für die Leipziger Mustermesse zur Seite. Trotz seiner anfänglichen Erfolge beim Neuaufbau der Berliner Hochschule kam es am 22. September 1952 anlässlich eines "Wettbewerbs für Serienmöbel" zum persönlichen Affront des regierenden Möbeltischlers Walter Ulbricht [seit 1950 Generalsekretär des ZK der SED, gelernter Möbeltischler; Anm.: Carsten Roth, Textredaktion]. Mart Stam wurde per Hausverbot der Zugang zum Institut untersagt. 1953 verlässt er unwiderruflich die DDR.

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