Christoph Kivelitz

Eric Jan van de Geer. Das Sichtbarwerden der Dinge

van de Geer, In Flagranti 1, Dortmunder KV, 2006Aufsatz im Katalog Eric Jan van de Geer. Textured Surfaces, erschienen anläßlich der Ausstellung IN FLAGRANTI I, Dortmunder Kunstverein, 2006.

Der Mensch steht der Welt nicht gegenüber, sondern ist Teil des Lebens, in dem die Strukturen, der Sinn, das Sichtbarwerden aller Dinge gründen. (Das Sichtbare und das Unsichtbare, Maurice Merleau-Ponty)

Eric Jan van de Geer zielt in seiner künstlerischen Arbeit auf die Dinge und ihr Sichtbarwerden. Dabei ist er kaum auf ein künstlerisches Verfahren festzulegen. Den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen bilden lapidar aufgenommene Polaroid-Fotografie Aufnahmen. In diesen fokussiert er Gegenstände, Oberflächen, Strukturen, räumliche Situationen, die extrem angeschnitten schwerlich zu lokalisieren oder auf einen bestimmten Kontext von Raum und Zeit zurückzuführen sind. Unschärfen, Überblendungen oder auch unterbelichtete Bildzonen stellen sich einer auf Wiedererkennen zielenden Wahrnehmung irritierend entgegen. So geht es dem Künstler darum, den Betrachter in der Auseinandersetzung mit der Fotografie von der eindeutigen Definition des Bildgegenstandes auf eine Austauschbeziehung zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen umzuleiten. Ziel und Verlauf dieser Interaktion bleiben offen.

Die Fotografien sind Ausgangspunkt für weitere Arbeitsschritte. In unterschiedlicher Weise werden die Aufnahmen mit Bildbearbeitungsprogrammen, mit malerischen Mitteln oder durch Druckverfahren nachbearbeitet. Indem der Künstler die einfachsten Motive ohne jeden Anspruch des Spektakulären seinem ganz alltäglichen Umfeld entnimmt, schafft er einen Rahmen des Vertrauten und Gewohnten. Die Dinge, die er zeigt, könnten banaler und schlichter kaum sein: hölzerne Gartenzäune, eine Kinderschaukel, eine Tischlampe, ein Stuhl, ein auf dem Kleiderbügel hängender Herrenanzug. Er zeigt Dinge des praktischen Lebens, unvermittelt aus jedem narrativen Bezug herausgeschnitten. Doch bereits durch die bewusst unperfekte Qualität der Aufnahmen erwirkt Eric Jan van de Geer eine erste Verfremdung im Verhältnis von Bild und Wirklichkeit. Der dokumentarische Charakter der Fotografie wird zweifelhaft. Im Folgenden entwickelt der Künstler eine analytische Methode: Das Bild wird digitalisiert, in Ebenen zerlegt und durch Ausdrucke auf Folien zergliedert. Auf einem Overheadprojektor und schließlich im Siebdruckverfahren führt er diese Ebenen erneut zusammen. Durch die Überlagerung und Schichtung der flächigen Teilstücke werden weitere Verschiebungen und Verfremdungen gegenüber dem Ausgangsbild in Gang gesetzt. Es entstehen Wirkungen räumlicher Tiefe, während andererseits die Außenhaut des Bildes durch Farb- oder Strukturakzente flächenhaft hervortritt. In diesem Prozess durchdringt der Künstler die Mikrostrukturen des jeweiligen Gegenstandes und schafft durch die Zusammenführung der Ebenen eine neue strukturelle Ganzheit.

Eric Jan van de Geer ergründet die Tiefenschichten des Bildes, um die Bezüge von Darstellung und Wirklichkeit zu hinterfragen. Das rekomponierte Bild vermittelt in paradoxer Weise eine größere Distanz und gleichzeitig mehr Nähe zum Ausgangsmotiv. Flecken, Über- und Unterbelichtungen oder auch Irritationen der Oberfläche erschweren die Identifikation der Gegenstände in ihrer dinghaften Präsenz und richten die Wahrnehmung auf ein abstraktes Bildgefüge aus. Leerstellen und Störungen versetzen das Bild in Zustände der Auflösung und Verflüssigung. Licht- und Schattenzonen umgreifen das Motiv in rhythmischen Bewegungen. Aufdrucke in Holzschnitt-Technik, mit Stempeln oder im Siebdruckverfahren, sowie Abdrücke des jeweiligen Objekts verknüpfen das Bildmotiv mit der haptisch-sinnlichen Empfindung der "Außenhaut" der Fotografie. Das Bildmotiv stellt sich dar als ein den Betrachter persönlich tangierender Gegenstand mit Spuren und Zeichen von Gebrauch und Vernutzung. Eric Jan van de Geer zielt auf die "künstlerische Verwandlung" der ins Bild gesetzten Dinge. Das in der Aufnahme fixierte Ausgangsmotiv wird in digitalen, manuellen und technischen Bearbeitungsprozessen sowie durch besondere Kolorierungsverfahren immer weiter verfremdet, in der Maßstäblichkeit verändert und zu großformatigen Werken ausgeweitet. Das fotografische Bild gewinnt die Anmutung eines in Schichten aufgebauten Gemäldes.

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